RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
ich mit meinem Vater und Titín zum Flughafen aufbrechen musste. Im Morgengrauen nahmen wir einen Billigflug nach Bilbao und fuhren in das eine Autostunde entfernte Vitoria, wo ich wieder mit Spritzen die zweite und entscheidende Kniebehandlung bekommen sollte. Wir hätten auch einen späteren Termin vereinbaren können, aber ich wollte so schnell wie möglich zurück nach Mallorca und in die Sommerpause, die ich nach Wimbledon immer einlege. Es heißt, bei Inselbewohnern sei der Drang, in ihre Heimat zurückzukehren, stark ausgeprägt. Für mich gilt das in besonderem Maße. Wenn mich das Bedürfnis überkommt, nach Hause zu fahren, ist an Schlaf nicht zu denken.
Es stellte sich allerdings heraus, dass wir gar nicht so früh hätten aufbrechen müssen. Der Arzt fand den Zeitpunkt für das Setzen der Spritzen ungünstig, da es Grund für die Befürchtung gab, dass sich das Knie entzünden könnte. Also fuhren wir wieder nach Bilbao zurück und flogen nach Palma, um später noch einmal nach Vitoria zur Behandlung zu fliegen, die überaus erfolgreich verlief. Meine Knieprobleme sind mittlerweile verschwunden. Ich dehnte meine Sommerpause länger aus als sonst, da ich es für die beste Vorbereitung auf die eine verbliebene Herausforderung hielt, die auf mich wartete: das vierte Grand-Slam-Turnier, die US Open, zu gewinnen.
Drei Wochen lang erholte ich mich vom Tennis, diesmal allerdings nicht wegen einer Verletzung oder wegen emotionaler Belastungen, sondern aus einem erfreulicheren Grund: Es war einfach an der Zeit, die Resettaste zu drücken. Ich wollte einen Schlussstrich unter die Anspannung der vorangegangenen eineinhalb Jahre auf und abseits des Tennisplatzes ziehen und ganz von vorn anfangen. Ich angelte, schwamm im Meer, spielte Golf, zog mit meinen Freunden oft bis tief in die Nacht durch die Clubs und verbrachte viel Zeit mit meiner Freundin María Francisca. Zumindest eine Zeit lang war es eine Erleichterung, nicht ständig von Journalisten belagert zu werden und jeden Tag in den Zeitungen zu stehen. Ich empfand es als befreiend, nicht tagtäglich mit denselben Spielern in der Umkleidekabine oder in Clubrestaurants zu sitzen, mir die Matchs meiner Gegner im Fernsehen anzusehen, von Hotels zum Training oder Wettkampf in Tennisclubs und zurück zu fahren, und manchmal morgens aufzuwachen und nicht mehr zu wissen, in welcher Stadt ich mich eigentlich gerade befand. Mit alledem komme ich recht gut zurecht und akzeptiere es als Teil meines Jobs, aber wie jeder Berufstätige brauche ich ab und an Urlaub. In meinem Beruf besteht ein hohes Burnout-Risiko. Wenn ich eine Chance haben wollte, die US Open zu gewinnen, hielt ich es in diesem Stadium für das Wichtigste, meinen Kopf frei zu bekommen, damit ich wieder mit dem nötigen Biss und Enthusiasmus spielen konnte, wenn es an der Zeit war.
Erst Anfang August, zehn Tage vor Beginn meiner Nordamerika-Tour, nahm ich mein Training wieder komplett auf. Das war ein Rekord. Das Minimum, das ich mir bis dahin vor einem Turnier erlaubt hatte, waren 15 Tage Vorbereitung. Dieses Mal hatte ich den Eindruck, zehn Tage seien genau richtig. Es reichte zwar nicht, um in Toronto zu gewinnen, wo ich im Halbfinale ausschied, und auch nicht in Cincinnati, wo ich nicht einmal über das Viertelfinale hinauskam. Aber obwohl ich bei diesen Wettkämpfen nicht sonderlich gut spielte, hatte ich das Gefühl, dass das Beste erst noch kommen sollte. Manchmal ist es besser, nicht gleich in Bestform zu einem Grand Slam zu kommen, weil dann das Risiko besteht, dass man von sich enttäuscht ist und die Moral nachlässt, wenn man in den ersten Matchs sein Spitzenniveau nicht halten kann.
Letzten Endes erwies sich diese Kalkulation als richtig, obwohl ich mir anfangs nicht ganz so sicher war. Ich begann in Flushing Meadows ein bisschen zögerlich, was zum Teil an einem Streit mit Toni lag, der die seit Langem zwischen uns angestauten Spannungen zum Kochen brachte. Die Auseinandersetzung hatte mit einem Verhaltensmuster zu tun, mit dem er mir seit Beginn unserer Zusammenarbeit vor 20 Jahren in den Ohren lag: der Notwendigkeit, während des Wettkampfs Haltung zu bewahren, »gute Miene« zu machen, una buena cara, wie wir in Spanien sagen.
Das bedeutet, während des Spiels ein ernstes, konzentriertes Gesicht zu zeigen, das so wenig negative Emotionen wie möglich verrät und eine professionelle disziplinierte Haltung widerspiegelt. Das Gegenteil davon ist ein Gesicht, das Wut, Nervosität,
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