RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
du musst lernen zu wissen, wer du bist!« Das Problem bei diesem überzogenen Respekt vor all meinen Gegnern ist, wie er sagt, dass mein Arm sich auf dem Platz verkrampft und ich in meinem Spiel unter den eigenen Möglichkeiten bleibe. Damit hat er Recht. Natürlich hat er Recht. Aber er ist derjenige, der die Software überhaupt erst installiert hat. Die Art, wie er mich in allen diesen Jahren bearbeitet hat, hat mich so geprägt, dass ich genau die entgegengesetzte Einstellung habe, wie er sie jetzt von mir verlangt.
Heute kommt es darauf an, an dem festzuhalten, was Toni mir vermittelt hat, aber stärker meine eigene Einschätzung durchzusetzen und die richtige Balance zwischen Bescheidenheit und überzogenem Selbstbewusstsein zu finden. Sicher, du musst beständig Respekt vor dem Gegner haben, immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er dich schlagen könnte, gegen den Spieler auf Weltranglistenplatz 500 so spielen, als wäre er auf Platz eins oder zwei. Toni hat mir geholfen, das klar im Kopf zu haben, vielleicht allzu klar. Nun versuche ich mich selbst dazu zu bringen, die Waagschalen etwas in die andere Richtung zu neigen, mehr Autonomie über mein Leben zu bekommen und Toni offener zu widersprechen, als ich es zu Beginn der US Open getan habe. Das mag zum Teil eine Folge meiner Erkenntnis sein, dass auch Toni seine Zweifel und Unsicherheiten hat; dass er sich häufig widerspricht und nicht der allwissende Magier meiner Kindheit ist.
Wir legten unseren Streit in der Umkleidekabine bei. Wir versöhnten uns, wie wir es immer tun. Wir brauchen uns, und uns beiden war klar, dass es angesichts der Aussicht auf einen vierten Grand Slam kaum der richtige Zeitpunkt für einen weiteren familiären Bruch war. In meinem Leben war es ein wiederkehrendes Muster, dass ich aus großen und kleinen Krisen gestärkt hervorging. Nach diesem Vorfall spielte ich bei den US Open zunehmend besser, und als ich im Finale gegen Djokovic antrat, fühlte ich mich in Topform. Meine Vorhand, die das ganze Jahr über großartig war, erwies sich im ersten Satz als steinhart; die Rückhand war perfekt, der Aufschlag besser denn je.
All das verhinderte jedoch nicht, dass ich im zweiten Satz 1:4 in Rückstand geriet. Das lag allerdings mehr daran, dass Djokovic plötzlich eine Phase hatte, in der ihm jeder Schlag gelang, als daran, dass ich in meinem Spiel nachgelassen hätte. Mir war klar, dass er dieses Niveau nicht halten konnte, und ich hatte das Gefühl, mehr zu verdienen. Mit dieser zuversichtlichen Einstellung schaffte ich ein Break, holte einen Punkt, der ihn andernfalls 5:2 in Führung gebracht hätte, und glich dann zum 4:4 aus.
Nun hatte ich Aufwind, und er wirkte angeschlagen, weil er die große Chance vertan hatte, sich diesen Satz zu sichern. Aber beim Stand von 30 beide bei seinem Aufschlag fing es an zu regnen. Die Sonne war zunehmend dunkleren Wolken gewichen, und in der Ferne hatte ich Blitze zucken sehen. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel, und der Turnierleiter kam zu uns auf den Platz und erklärte: »Ich fürchte, das wird heftig.« Er hatte Recht. Wir hörten den Donner unten in der Umkleidekabine, wo wir zwei Stunden warten mussten, bevor wir das Spiel um 20 Uhr fortsetzen konnten.
Die Unterbrechung war für Djokovic günstiger als für mich, wie zwei Jahre zuvor in Wimbledon die erste Regenpause Roger Federer genützt hatte. Ich war gerade in Schwung gekommen, und Djokovic hatte Zeit gebraucht, sich zu sammeln. Das schaffte er, gewann das unterbrochene Spiel und ging 5:4 in Führung. Ich brachte meinen Aufschlag durch, er ebenfalls, und wieder hatte ich Aufschlag und musste bei einem Rückstand von 6:5 zusehen, dass ich den Satz rettete.
Den ersten Punkt holte ich mit einem kurz cross gepielten Vorhand-Drive, gegen den er machtlos war; den nächsten gewann er mit ein bisschen Glück, als mein Ball das Netz berührte, aber nicht auf seine, sondern auf meine Seite fiel. So ging es den ganzen Satz über weiter. Ich spielte, glaube ich, ebenso gut wie er, vielleicht sogar besser, kontrollierte mehr Ballwechsel, brachte ihn ständig in die Defensive und zwang ihn, mehr hinterherzuhetzen als anzugreifen. Das war eine Rolle, an die ich besser gewöhnt war, aber er meisterte sie gut, erwischte einige Bälle, die er eigentlich nicht hätte bekommen dürfen, und gewann den Satz 7:5 – es war der erste Satz des gesamten Turniers, den ich verlor.
Der Regen erwies sich als Segen für ihn. In Wimbledon 2008 hatte
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