RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Anspannung, Furcht oder auch Freude erkennen lässt. Nach Tonis Auffassung geht es dabei nicht nur um eine Frage der Ästhetik oder der guten Manieren. Nach seiner Theorie, der auch Joan Forcades zustimmt, konditioniert der Gesichtsausdruck in erheblichem Maße die mentale Verfassung und bei einem Tennisspieler auch die Körperfunktionen. Wenn es einem also gelingt, während eines Matchs Haltung zu bewahren, wachsen die Chancen, dass man sich von dem Ball, den man gerade gut oder schlecht schlägt, oder von dem gerade verlorenen oder gewonnen Punkt nicht ablenken lässt, sondern sich voll und ganz auf die Gegenwart, auf die unmittelbaren Anforderungen der aktuellen Aufgabe konzentriert. Es ist eine Art, Tonis Durchhalteprinzip umzusetzen, ein anderer Aspekt der »ganzheitlichen« Herangehensweise, wie Joan es nennt, die für Erfolge im Spitzensport notwendig ist.
Im Großen und Ganzen stimme ich mit ihnen überein. Deshalb bemühe ich mich immer, der Welt eine gute Miene zu präsentieren, wie ich es, glaube ich, beim Wimbledon-Finale 2008 auch durchgängig getan hatte. Nicht zufällig bin ich bei der Erinnerung an dieses Match besonders stolz auf die Haltung, die ich von Anfang bis Ende an den Tag gelegt habe. Also ja, Toni hat Recht. Haltung zu bewahren verleiht einem Tennisspieler einen Wettkampfvorteil. Aber ich bin nicht vollkommen und kann meine Gefühle nicht immer verbergen. Und weil mir das nach Tonis Ansicht während des Matchs in der zweiten Runde der US Open 2010 gegen den Usbeken Denis Istomin nicht gelungen war, bekamen wir Streit – einen meiner Ansicht nach völlig unnötigen Streit, den er vom Zaun brach und der sich durchaus negativ auf meine restlichen Leistungen in New York hätte auswirken können.
Folgendes war passiert: Vor diesem Match in der zweiten Runde hatte Toni mir gesagt, ich solle auf Sicherheit spielen, hohe Bälle schlagen, die Ballwechsel in die Länge ziehen und mich darauf konzentrieren, meinen Rhythmus für die härteren Spiele zu finden, die noch bevorstanden. Ich tat genau das, was er mir gesagt hatte, und gewann. Allerdings spielte ich nicht mein bestes Tennis, und mein Gesicht muss wohl meine Befürchtungen in gewisser Weise widergespiegelt haben. Nach dem Match rügte Toni mich in der Umkleidekabine, ich hätte beim Spiel keine gute Miene gezeigt und nicht die Haltung bewahrt. Ich widersprach: »Ich verstehe nicht, wieso du so reagierst, obwohl ich genauso gespielt habe, wie du es mir gesagt hast. Und ich weiß nicht, wieso du es nötig findest, mir solche Vorwürfe zu machen, obwohl die meisten Leute nur Lob für meine Haltung auf dem Platz haben. Wenn mein Gesicht so aussieht, wie du sagst, liegt es daran, dass ich nervös war und Angst hatte zu verlieren, was nach meinem Empfinden eine durchaus verständliche menschliche Reaktion ist. Aber meine Konzentration war während des ganzen Matchs gut, und ich habe gewonnen. Was soll also das Theater?«
»O. k., o. k.«, sagte er. »Ich sage dir nur, was ich denke, und wenn es dir nicht passt, fahre ich nach Hause, und du kannst dir einen anderen Trainer suchen.«
Ich war nicht begeistert von seiner Reaktion. Toni musste doch wissen, dass ich einer der Spieler auf der Tour war, mit dem am einfachsten auszukommen war. Nur wenige behandeln ihren Trainer mit mehr Respekt als ich. Ich höre auf Toni, folge seinen Anweisungen, und selbst wenn es Spannungen zwischen uns gibt, widerspreche ich ihm selten. Auf dem Platz benehme ich mich gut, trainiere hundertprozentig und setze im Alltag die Menschen meiner Umgebung nicht unter Druck, am wenigsten Toni. Als er an jenem Tag in der Umkleidekabine in Flushing Meadows so reagierte, fühlte ich mich ungerecht behandelt, bemühte mich aber, mich zu beherrschen.
»Hör zu«, erklärte ich, »du sagst immer dasselbe. Und meistens stimme ich dir zu. Aber diesmal – dieses Mal – glaube ich, dass du falsch liegst.«
Toni wollte nichts hören: »Gut. Wenn es so ist, macht es mir keinen Spaß mehr, weiter dein Trainer zu sein.« Damit stürmte er aus der Umkleidekabine.
Das ließ mich nachdenklich werden. In der Spannung, die mein Onkel durch seine Gegenwart in mein Leben bringt, herrscht eine fein austarierte Balance. Die Geschichte zeigt, dass es meist eine positive, kreative Spannung war. Manchmal, wie in diesem Fall, wägt er seine Worte aber nicht maßvoll ab, und dann wirken sie nicht als Ansporn, sondern nehmen mir die Lust, was sich wiederum auf mein Spiel auswirkt.
Ich möchte ein
Weitere Kostenlose Bücher