RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
es Zeit war, mit meinem French-Open-Pokal sowie Goofy und Mr und Mrs Incredible für die Kameras zu posieren. Anschließend ging es zurück nach Paris und mit dem Zug nach London.
Das Turnier von Queens im Vorfeld von Wimbledon wird auf Rasen gespielt. Bis zum Beginn des Turniers blieb mir noch eine Woche Zeit, die ich nutzen wollte, um mir so bald wie möglich etwas Übung auf diesem Belag zu verschaffen. Nachdem wir aus dem Tunnel unter dem Ärmelkanal aufgetaucht und gut eine Stunde später auf dem Bahnhof in London eingetroffen waren, machten wir uns geradewegs auf den Weg zum Queen’s Club, statt erst ins Hotel zu fahren. Da es regnete, wie so oft in London, musste ich mit einigen anderen Spielern, unter ihnen auch Andy Roddick, warten, bis die Sonne wieder zum Vorschein kam. Es gab nicht viel zu tun, außer auf den Fernseher zu schauen, wo zufällig gerade eine Wiederholung des Wimbledon-Finales 2008 zwischen mir und Roger Federer lief. Die anderen Spieler schauten ebenso gebannt wie ich zu, aber das Match war noch nicht weit fortgeschritten, als ich merkte, dass der Regen aufgehört hatte. Sofort sprang ich auf. »Gott! Los! Gehen wir raus und trainieren!«, sagte ich zu Titín. Meine Kollegen in der Umkleidekabine schauten mich verwundert an, als fänden sie, ich sollte sitzen bleiben und meinen berühmten Sieg genießen, statt mit solchem Eifer auf den Platz zu drängen. Ich wollte jedoch keine Sekunde verlieren. Nach nahezu zweijähriger Abwesenheit musste ich umgehend wieder ein Gefühl für das Spiel auf Rasen bekommen.
Im Jahr 2008 hatte ich das Queen’s Turnier gewonnen, aber diesmal verlor ich im Viertelfinale. Das war keine Katastrophe, da es mir mehr Zeit verschaffte, mich in meinem eigenen Tempo auf Wimbledon vorzubereiten. Ich verließ das Hotel in London und kehrte in mein zweites Heim in England zurück, also in das gemietete Haus am All England Club. Es war schön, wieder dort zu sein. Allein schon mein Fehlen in Wimbledon 2009 hatte deutlich gemacht, wie sehr mich der Bruch in meinem Familienleben erschüttert hatte, und meine Rückkehr 2010 bedeutete, dass wieder Ruhe eingekehrt war.
Bei diesem Turnier war Carlos Costas Vergleich mit dem Dieselmotor besonders passend. Ich begann schwerfällig, aber als ich erst einmal in Gang kam, war ich nicht mehr zu stoppen. In der zweiten Runde schied ich beinahe aus und kämpfte mich mühsam durch fünf Sätze, aber je weiter ich vorrückte und je stärker meine Gegner – jedenfalls nach dem Weltranglistenplatz – waren, umso besser spielte ich. Soderling schlug ich im Viertelfinale in vier Sätzen, Andy Murray im Halbfinale in drei Sätzen. Bei dem Match gegen Murray verhielt sich das Publikum auf dem Centre Court wunderbar. Die Briten warten sehnlich auf ihren eigenen Wimbledon-Champion, seit Fred Perry als letzter ihrer Landsleute das Turnier 1936 gewann, und die Zuschauer machten von Anfang an klar, auf wessen Seite sie standen. Murray, auf Platz vier der Setzliste für das Turnier, war seit langer Zeit ihre größte Hoffnung. Dennoch fühlte ich mich während des gesamten Matchs fair von ihnen behandelt, sie jubelten nicht über meine Doppelfehler und beklatschten meine besseren Schläge. Und als ich zur Enttäuschung der meisten Zuschauer in drei Sätzen gewann, gönnten sie mir einen herzlichen Applaus.
Ich hatte erwartet, im vierten Jahr in Folge auf Roger Federer zu treffen, falls ich es bis ins Finale schaffen sollte. Das war nicht der Fall. Mein Gegner war diesmal der an zwölfter Stelle gesetzte Tscheche Tomas Berdych, der während des Turniers in einem brillanten Lauf Federer im Viertelfinale und Djokovic im Halbfinale besiegt hatte. Selbstgefälligkeit lag mir zwar äußerst fern, aber ich war längst nicht so nervös wie vor dem Finale zwei Jahre zuvor. Noch nie ein Wimbledon-Finale gespielt zu haben ist ein Nachteil, da diese Erfahrung – die ich nun schon viermal gemacht hatte – ein beruhigendes Maß an Vertrautheit vermittelt. Mit einem nahezu perfekten Spiel gewann ich in drei Sätzen 6:3, 7:5, 6:4 meinen zweiten Wimbledon-Titel und mein achtes Grand-Slam-Turnier.
Obwohl das Match früh zu Ende war, bekam ich in dieser Nacht keinen Schlaf. Nach dem offiziellen Wimbledon-Dinner, bei dem ich einen Smoking tragen und protokollgemäß mit der Siegerin im Dameneinzel, Serena Williams, tanzen musste, war es sinnlos, noch ins Bett zu gehen. Der Empfang endete erst nach Mitternacht, und mir blieben nur noch zweieinhalb Stunden, bis
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