Rage Zorn
leise.
7
Richter Kemp bewilligte die vom Verteidiger beantragte Verhandlungspause von dreiÃig Minuten, während der sich der Anwalt mit seinem Mandanten beraten und ihn hoffentlich überreden würde, den Vergleich anzunehmen, der die Verhandlung zum Ende bringen und dem Richter einen freien Nachmittag bescheren könnte.
Er selbst nutzte die halbe Stunde, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen, wo er mit einer winzigen Silberschere die Härchen aus seiner Nase schnitt. Dazu nahm er einen Spiegel mit fünffacher VergröÃerung zu Hilfe. Trotzdem war es eine heikle Prozedur. Das unerwartete Läuten seines Handys hätte ihm um ein Haar eine punktierte Nasenscheidewand eingebracht.
Leicht verärgert nahm er den Anruf seiner Frau entgegen.
»Janey ist nicht in ihrem Zimmer«, verkündete sie ihm ohne jede Vorrede. »Sie war die ganze Nacht nicht da.«
»Du hast doch gesagt, sie sei da gewesen, als wir nach Hause kamen.«
»Das dachte ich auch, weil ich das Radio aus ihrem Zimmer hörte. Heute Morgen lief es immer noch. Ich fand das eigenartig, du weiÃt ja selbst, was für eine Langschläferin sie ist, aber dann dachte ich, sie wäre bei laufendem Radio eingeschlafen.
Um zehn Uhr habe ich endlich an ihre Tür geklopft. Ich wollte sie zum Mittagessen in den neuen Teesalon mitnehmen. Ich dachte, wir könnten endlich mal wieder etwas zusammen unternehmen. Es ist ein ganz bezauberndes Restaurant, ehrlich. Bea und ich waren letzte Woche dort, und sie machen ein ganz phantastisches Gazpacho.«
»Marian, ich muss gleich wieder in die Sitzung.«
Sie zügelte sich sofort und fuhr fort: »Also habe ich geklopft, aber es rührte sich nichts. Um Viertel vor elf habe ich dann beschlossen, dass ich in ihr Zimmer gehe und sie wecke. Ihr Zimmer war leer und das Bett unberührt. Ihr Auto steht nicht in der Garage, und keiner der Angestellten hat sie gesehen.«
»Vielleicht ist sie ganz früh aufgestanden, hat ihr Bett gemacht und ist dann losgefahren.«
»Und vielleicht fällt uns heute Nachmittag der Himmel auf den Kopf.«
Sie hatte Recht. Es war eine absurde Vorstellung. Janey hatte in ihrem ganzen Leben noch kein Bett gemacht. Ihre Weigerung, das zu tun, war einer der Gründe für ihre vorzeitige Heimkehr aus dem Ferienlager gewesen, als sich ihre Eltern das einzige Mal über ihre Proteste hinweggesetzt und sie einfach hingeschickt hatten.
»Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
»Gestern Nachmittag«, antwortete Marian. »Da lag sie stundenlang am Pool. Ich habe sie schlieÃlich überredet, ins Haus zu kommen. Sie wird noch ihre Haut ruinieren, wenn sie sich weiterhin weigert, Sonnenschutz aufzulegen. Ich habe schon mit Engelszungen auf sie eingeredet, aber natürlich hört sie nicht auf mich. Sie sagt, Sonnenschutz sei das Blödeste, was sie je gehört habe, denn es würde dem Sinn der Sache zuwiderlaufen.
Ach ja, Baird, ich finde, du solltest ihr unbedingt ins Gewissen reden, dass sie nicht mehr oben ohne sonnenbadet. Ich weiÃ, der Garten hinter dem Haus ist ihr eigenes Reich, aber dort kommen ständig Bauarbeiter von einer dieser zahllosen Baustellen vorbei, und ich weigere mich, denen eine Gratis-Peepshow zu bieten. Es reicht schon, dass sie einen String trägt, was nicht nur geschmacklos und undamenhaft ist, wenn du mich fragst, sondern auch schrecklich unbequem aussieht.«
Diesmal bremste sie sich selbst, ehe sie zu weit vom Thema abschweifte. »Jedenfalls konnte ich sie gestern beschwören, dass sie wenigstens während der heiÃesten Stunden ins Haus kommt. Ich habe ihr noch mal klar gemacht, dass wir zu dem Dinner gehen wollten und dass sie im Haus zu bleiben hatte. Daraufhin ist sie nach oben gestampft, ohne dass sie auch nur einen Ton zu mir gesagt hätte, hat die Tür zugeknallt und von innen abgeschlossen. Offenbar hat sie gestern Abend das Haus kurz nach uns verlassen und ist seither nicht heimgekommen.«
Weil er seinen Wagen über Nacht vor dem Haus stehen lassen
hatte, statt ihn in die Garage zu fahren, war ihm nicht aufgefallen, dass Janeys Auto weg war. Wenn er Janey das nächste Mal Hausarrest erteilte, durfte er nicht vergessen, auch ihre Autoschlüssel einzuziehen. Nicht dass sie das davon abhalten würde, nachts aus dem Haus zu schleichen und sich mit ihren wilden Freunden zu treffen, deren Einfluss ohne jeden Zweifel der tiefere Grund für ihr
Weitere Kostenlose Bücher