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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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habe ich durch Zufall erfahren. Wie alles, was mit Jims Vergangenheit zu tun hatte.«
    Das Graugrün ihrer Augen zeigte jetzt einen Schimmer Violett. Ein dunkler Ring bildete den äußeren Rand der Iris, was dem Weiß ihrer Augen besondere Klarheit verlieh. Um die Pupille flammte ein Strahlenkranz aus Gold. Wie winzige Sonnen.
    »Jims Verlust war wie eine tiefe Wunde.« Sie stützte den Kopf in die Hände. »Und sie wollte einfach nicht heilen. Ich versuchte verzweifelt, ihn zu finden, soweit mir das von Deutschland aus möglich war. Damals hatte ich nicht genug Geld, um einen Flug nach Seattle zu bezahlen, und außerdem ging es mir zu Beginn der Schwangerschaft nicht gut. Ich schrieb mehrere Briefe an Jim, bekam aber keine Antwort. Es war, als hätte es ihn nie gegeben. Irgendwann gab ich auf, weil ich spürte, dass es mich innerlich kaputt machte, mir die Kraft raubte. Ola wurde geboren und ich musste für sie sorgen. Manchmal war es nicht einfach, aber ich habe es geschafft – auch allein. Nur jetzt …«, Hanna sah weg, als ob sie sich dafür schämte, ». . . jetzt bin ich des Alleinseins müde. Ich wünsche mir jemanden an meiner Seite, der Ola ein Vater ist, jemanden, mit dem ich mein Leben teilen kann.« Rechtfertigung hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Sie stand auf und trat an die Panoramascheibe.
    »Aber wie kann ich etwas Neues anfangen, wenn etwas Altes mich nicht zur Ruhe kommen lässt? Und ich finde keine Ruhe, bevor ich nicht weiß, was aus Jim geworden ist.« Sie drehte sich um. »Ich bin nicht gekommen, um ihm Vorwürfe zu machen oder Geld von ihm zu fordern – das musst du mir einfach glauben.« Sie sah ihm offen ins Gesicht. »Ich will nur wissen, warum er mich verlassen hat. Ist das zu viel verlangt?«
    Greg schüttelte den Kopf, der voller Fragen war. Fragen, die er nicht stellte. Warum sollte er Hanna seine Ratlosigkeit offenbaren? Er kannte sie überhaupt nicht.
    »Vielleicht weiß ja dein Vater etwas über Jims Verbleib«, sagte Hanna. »Ich muss unbedingt mit ihm sprechen.«
    Du hast ja keine Ahnung, wie sehr der alte Mann dich hasst.
    »Er ist für ein paar Tage geschäftlich verreist«, sagte Greg. Sein flüchtiger Blick streifte Hannas Gesicht. So angespannt wirkte es streng. Auf ihrer Nasenwurzel saß immer noch die Falte. Durch Hannas schmächtigen Körperbau und die großen Augen wirkte sie auf Greg wie ein Kind. Wie ein verlorenes Kind.
    Er fragte sich, was Jim wohl an ihr gefunden haben mochte.
    Hast du sie nur benutzt, Jim?
    Hanna begann, vor dem Fenster auf und ab zu laufen.
    »An welche Adresse hast du die Briefe geschickt?«, fragte er.
    »An Jim Kachook, Neah Bay. Er wohnte damals mit deinem Vater zusammen in einem Haus hinter der Schule«, antwortete sie.
    »Das stimmt. Mein Vater hat dieses Haus hier erst gebaut, nachdem Jim nach Deutschland gegangen ist. Vaters Holzwerkstatt ist nach wie vor im Ort. Er schläft auch oft dort, wenn er bis in die Nacht hinein arbeitet.«
    »Er schnitzt also immer noch Pfähle und Masken?« Sie ging zum Sessel zurück und setzte sich wieder.
    »Ja, natürlich. Das ist seine Bestimmung, davon lebt er.«
    »Und wovon lebst du, Greg?«
    Überrascht sah er sie an. Ihre Augen leuchteten im Feuerschein, und als sie lächelte, begannen die kleinen braunen Punkte in ihrem Gesicht zu tanzen.
    »Vielleicht fällt uns die Verständigung leichter, wenn ich auch ein paar Dinge über dich weiß.«
    Gregs Magen zog sich leicht zusammen, er war nicht sicher, ob Hannas Lächeln die Ursache dafür war.
    »Mein Vater hat mir das Pfahlschnitzen beigebracht, nachdem Jim nicht zurückgekehrt war«, sagte er schließlich. »Aber eigentlich bin ich Maler.« Er wies auf eine Wand in der Diele, auf der ein stilisierter Wal abgebildet war. Rot und Schwarz. Die Farben der Makah für das Leben und den Tod.
    »Der Wal ist von dir?«
    »Ja.«
    »Er ist wunderschön. Alles stimmt. Du musst sehr glücklich sein, in einem so schönen Haus an einem solchen Ort leben zu können«, sagte Hanna.
    Greg nickte. »Ich mag den Ort und das Haus«, sagte er. »Aber es hat auch Neider hervorgebracht. Es hier draußen zu bauen – so weit ab vom Ort – und dann mit all diesen Dingen auszustatten, die einem das Leben angenehm machen, hat eine Menge Geld gekostet. Mein Vater ist sehr wohlhabend, der gefragteste Holzschnitzer weit und breit. Leider ist er der Meinung, dass man seinen Reichtum zur Schau tragen sollte, um seine Stellung in der Dorfgemeinschaft zu definieren, so, wie das

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