Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
anderes Schiff den Strom rauffährt. Ist nicht viel Verkehr zwischen Trehaug und Cassarick im Moment. Und die paar Boote, die fahren, sind um einiges kleiner als mein Kahn. Aber es ist Eure Wahl. Aber entscheidet Euch schnell, ich hab ohnehin schon länger gewartet, als ich hätte sollen. Ich muss Termine einhalten.«
Wie wahr! Das in dringlichem Tonfall abgefasste Schreiben des Händlerkonzils in Cassarick hatte sich angehört, als würde ein hübscher Profit auf ihn warten, wenn er den einigermaßen zwielichtigen Auftrag annehmen würde. Leftrin grinste. Er hatte schon längst beschlossen, dass er den Auftrag annehmen würde, und hatte in Trehaug sogar schon Vorräte für die Reise geladen. Doch indem er das Konzil bis zur letzten Minute im Unklaren ließ, konnte er den Preis nach oben drücken. Bis er in Cassarick anlegen würde, würden sie ihm wahrscheinlich den Mond anbieten. Von daher war es kein sonderlich großes Ärgernis, auf die neuen Passagiere warten zu müssen. Er stützte sich auf die Reling, um hinabzurufen: »Kommt Ihr an Bord oder nicht?«
Eigentlich hatte er erwartet, die Antwort von dem Mann zu erhalten. Zu seiner Überraschung reagierte aber die Frau. Sie legte den Kopf in den Nacken, um mit ihm zu sprechen, und da fiel die Sonne durch den hauchdünnen Schleier und ließ ihre Züge erkennen. Ihre Haltung erinnerte ihn an eine Blüte, die sich der Sonne öffnete. Ihre weit auseinanderliegenden Augen waren groß und grau und sahen ihn aus einem herzförmigen Gesicht an. Ihr Haar hatte sie unter dem Hut zusammengebunden, doch was davon sichtbar blieb, war dunkelrot und gelockt. Ihre Nase und die Wangen waren großzügig mit Sommersprossen gesprenkelt. Vielen Männern wäre ihr Mund womöglich etwas zu breit erschienen, aber nicht Leftrin. Der funkelnde Blick, den sie ihm kurz zuwarf, schien nicht nur in seine Augen, sondern auch in sein Herz zu dringen. Danach wandte sie den Blick gleich wieder ab, zu wohlerzogen, um einem Fremden ins Gesicht zu schauen.
»… eigentlich keine Wahl«, sagte sie, und er fragte sich, welche Worte er verpasst hatte. »Es wäre uns ein Vergnügen, mit Euch zu reisen, mein Herr. Ich bin überzeugt, dass Euer Schiff uns vortrefflich befördern wird.« Um ihre Lippen spielte ein schuldbewusstes Lächeln, und als sie sich ihrem Gefährten zuwandte und mit zur Seite geneigten Kopf zu einer wortreichen Beschwichtigung ansetzte, versetzte es Leftrin einen Stich der Eifersucht. »Sedric, es tut mir leid. Es tut mir so leid, dass du in diese Sache mit hineingezogen wurdest. Und ich bin untröstlich, dass ich dich von einem Schiff zum nächsten schleife, ohne dass du auch nur eine Tasse Tee trinken oder dich an Land ein paar Stunden erholen kannst. Aber du siehst ja selbst, wie es ist. Wir müssen gehen.«
»Nun, wenn es Euch um eine Tasse Tee geht, die kann ich Euch auch in meiner Bordküche aufbrühen. Und wenn es Euch nach Festland ist, na ja, davon gibt’s in Trehaug nicht viel, genauso wenig wie im Rest der Regenwildnis. Und da es kein Festland gibt, habt Ihr es auch nicht verpasst. Kommt an Bord und seid willkommen.«
Damit fiel der Blick der Frau wieder auf ihn. »Oh, Kapitän Leftrin, Ihr seid zu gütig«, rief sie aus, und die aufrichtige Erleichterung in ihrer Stimme wärmte ihm das Herz. Sie hob den Schleier, um ihn direkt anzusehen, und ihr Anblick raubte ihm fast den Atem.
Er umklammerte die Reling, setzte darüber hinweg und landete leichtfüßig auf dem Steg. Er deutete eine Verbeugung an. Überrascht wich sie zwei kleine Schritte zurück, während Skelly ein leises Geräusch ausstieß, das ein Kichern hätte sein können. Ihr Kapitän warf ihr einen düsteren Blick zu, worauf sie sich rasch wieder ihrer Arbeit zuwandte. Dann wandte sich Leftrin wieder der Frau zu.
» Teermann sieht vielleicht nicht so nobel aus wie einige andere Schiffe, die Ihr bisher gesehen habt, aber er wird Euch sicher den Strom rauftragen, wohin nur wenige Boote seiner Größe gefahrlos schiffen können. Er hat geringen Tiefgang, müsst Ihr wissen. Und seine Mannschaft findet immer die richtige Fahrrinne, ganz gleich, wie die Strömungen auch wechseln. Sicher wollt Ihr nicht auf eines dieser kleinen Spielzeugboote warten, um Euch nach Cassarick zu bringen. Die sehen vielleicht etwas schicker aus als mein Teermann , aber sie schwanken wie ein Vogelkäfig im Wind, und ihre Mannschaften rackern sich ab, um gegen die Strömung anzukämpfen. Bei uns habt Ihr es um einiges bequemer. Darf
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