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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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dass ihre schrägen Strahlen über die Baumspitzen hinweg auf die Schlangenkokons fielen, die am Ufer verstreut waren. Obwohl es kein sonderlich heißer Sommertag war, hatten einige der Hüllen unter der wärmenden Sonne bereits angefangen zu dampfen und zu qualmen. Thymara richtete ihr Augenmerk vor allem auf den großen Kokon direkt unter ihr. Der Dampf, der von ihm aufstieg, brachte einen Gestank wie von Eidechsen mit sich. Thymara rümpfte die Nase und starrte gebannt hinunter. Allmählich verlor das Hexenholz unter ihr seine Festigkeit.
    Thymara war mit Hexenholz vertraut. Viele Jahre hatte ihr Volk es als besonders robuste Holzsorte verwendet. Es war härter als alles, was andere Völker »Hartholz« nannten. Die Axt oder Säge, mit der man es bearbeitete, war innerhalb weniger Stunden stumpf. Jetzt aber gab das silbergraue »Holz« der Drachenhülle unter ihr nach, dampfte, warf Blasen, schien zu schmelzen und legte sich um die regungslose Gestalt im Innern.
    Kurz darauf zuckte die Gestalt und wand sich heftig hin und her. Das Hexenholz zerriss wie eine Haut, und der verflüssigte Kokon wurde von dem skelettartigen Wesen in der Hülle aufgenommen. Vor ihren Augen blähte sich das Fleisch des mageren Drachen auf und nahm Farbe an. Die Kreatur war kleiner, als Thymara beim Anblick der Hülle und nach allem, was Tintaglia erzählt hatte, erwartet hätte. Dem offenen Kokon entstieg eine Wolke aus übel riechender Feuchtigkeit, und dann stieß der Drachenkopf mit seiner stumpfen Schnauze durch die eingefallene Hülle.
    Draußen!
    Thymara erfasste ein Schwindelgefühl, als sie in ihrem Geist die Drachensprache vernahm. Ihr Herz machte einen Satz wie ein Vogel, der sich in die Luft erhebt. Sie vermochte Drachen zu hören! Seit Tintaglia aufgetaucht war, wusste man, dass manche Leute verstanden, was Drachen sagten, während andere nur Brüllen, Fauchen und ein unheimliches Knarren hörten. Einige hatten Tintaglias Worte auf Anhieb erfasst, als sie zum ersten Mal nach Trehaug gekommen war und sich an die Menschenmenge gewandt hatte. Andere wiederum waren von ihren Gedanken unberührt geblieben. Die Entdeckung, dass sie alles verstehen würde, sollte sich ein Drache jemals dazu herablassen, zu ihr zu sprechen, begeisterte Thymara über alle Maßen. Sie kroch an dem Ast noch weiter hinunter.
    »Thymara!«, erklang die warnende Stimme ihres Vaters.
    »Ich passe schon auf!«, gab sie zurück, ohne ihn überhaupt anzusehen.
    Unten hatte die junge Drachin den rot gähnenden Schlund aufgerissen und zerrte an den zerfallenden Fasern des Holzes, die sie fesselten. Sie. Thymara konnte nicht sagen, woher sie das wusste. Für ein frisch geschlüpftes Wesen waren die Zähne der Drachin wahrlich beeindruckend. Dann zerrte sie ein Maulvoll des durchweichten Hexenholzes los, warf den Kopf zurück und schluckte deutlich sichtbar. »Sie frisst das Hexenholz!«, rief Thymara ihrem Vater zu.
    »Davon habe ich gehört«, antwortete er. »Selden, der Elderling, hat erzählt, er wäre Zeuge von Tintaglias Geburt gewesen. Ihr Kokon ist mit ihrer Haut verschmolzen. Ich glaube, dass ihnen das Kraft gibt.«
    Thymara erwiderte nichts. Ganz offensichtlich hatte ihr Vater recht. Zwar schien es unmöglich, dass die Hülle, die einen Drachen umfasste, in seinem Bauch Platz finden sollte, aber die Drachin unter ihr schien jedenfalls fest entschlossen zu sein, alles zu verschlingen. Während sie den Kokon fraß, in dem sie immer noch feststeckte, versuchte sie sich gleichzeitig daraus zu befreien. Immer wieder riss sie faserige Brocken heraus und schluckte sie am Stück hinunter. Thymara verzog das Gesicht vor Mitleid. Ihr erschien es geradezu tragisch, dass ein Neugeborenes so von Hunger verzehrt war. Sa sei Dank hatte sie gleich etwas zu essen.
    Ein allgemeines Atemholen der versammelten Menschenmasse warnte Thymara, sodass sie sich gerade noch rechtzeitig fester an den Zweig klammerte. Beinahe hätte die Druckwelle, die an ihr vorbeiraste, sie fortgerissen, und der Ast, auf dem sie hockte, schwankte besorgniserregend. Kurz darauf wurde der Baum von einem mächtigen Beben ergriffen, und im selben Augenblick landete Tintaglia.
    Die Drachenkönigin war blau und silbern und wieder blau, je nachdem, wie das Sonnenlicht auf sie fiel. Sie war mindestens dreimal so groß wie die frisch geschlüpften Drachen. Wenn sie ihre Schwingen zusammenklappte, war das so, als würden die Segel eines mächtigen Schiffes eingeholt. Sie drückte sie eng an ihren Körper

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