Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Luft. Falls er sich fragte, wo Leftrin gewesen war und was er gemacht hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
Leftrin grübelte noch immer, wie er das Hexenholz am besten in Reichtum ummünzen konnte, als er seinen schlam migen Stiefel auf die unterste Sprosse der Leiter setzte. Die schimmernden schwarzen Augen, die auf Teermanns Bug aufgemalt waren, sahen ihn geradewegs an, und er erstarrte. Eine völlig neue Idee keimte in ihm. Ich behalte es. Ich behalte das Holz und verwende es für mein eigenes Schiff. Lange Augenblicke verharrte er auf der Leiter, während sich die Möglichkeiten in seinem Geist entfalteten wie Blüten, die sich in der Dämmerung öffneten.
Er tätschelte den Schiffsrumpf. »Das könnte ich, mein Alter. Das könnte ich wirklich.« Dann stieg er die restlichen Sprossen hinauf an Deck, zog seinen undichten Stiefel aus und warf ihn über Bord, auf dass der Fluss ihn vollends verschlingen würde.
Fünfzehnter Tag des Fischmonds
Fünfzehnter Tag des Fischmonds
IM SIEBTEN JAHR DER HERRSCHAFT DES ERLAUCHTEN
UND PRÄCHTIGEN SATRAPEN COSGO
IM ERSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug,
an Erek, Vogelwart in Bingtown
Die versiegelte Rolle enthält eine Nachricht von größter Wichtigkeit vom Konzil der Regenwildhändler in Trehaug für das Konzil der Bingtown-Händler. Ihr werdet eingeladen, wen auch immer ihr beim Schlüpfen der Regenwilddrachen anwesend wissen möchtet, als Repräsentanten zu diesem Ereignis zu entsenden. Auf Anweisung der allerhöchsten königlichen Drachin Tintaglia werden die Hüllen am fünfzehnten Tag des Keimmonds, also in fünfundvierzig Tagen, dem Sonnenlicht ausgesetzt. Mit großer Freude blickt das Konzil der Regenwildhändler Eurer Anwesenheit beim Schlüpfen der Drachen entgegen.
Erek!
Mistet Eure Taubenschläge aus und kalkt die Wände. Die beiden letzten Tiere, die mich von Euch erreicht haben, hatten Läuse, und sie haben meinen Taubenschlag angesteckt.
Detozi
2 · Das Schlüpfen
2
Das Schlüpfen
A us reinem Glück war Thymara zur rechten Zeit am rechten Ort. Noch nie zuvor hatte sie ein solches Glück gehabt, dachte sie, während sie sich am untersten Ast eines Baums am Rande des Schlangenufers festhielt. Normalerweise begleitete sie ihren Vater nicht in die tieferen Ebenen Trehaugs, und schon gar nicht reiste sie mit ihm nach Cassarick. Doch nun war sie hier, und just an jenem Tag, an dem Tintaglia die Drachenkokons zu enthüllen gedachte. Sie warf einen Blick zu ihrem Vater, der sie angrinste. Nein. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass es kein Glück gewesen war. Er hatte geahnt, welche Freude es ihr bereiten würde, dies mitzuerleben, und er hatte den Ausflug entsprechend geplant. Sie grinste mit der ganzen Zuversicht ihrer elf Jahre zurück und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Szene weiter unten zu. Da drang die warnende Stimme ihres Vaters an ihr Ohr, der wie ein Vogel auf einem dickeren Ast und näher am Stamm des riesigen Baumes hockte.
»Thymara, pass auf. Die sind frisch geschlüpft. Und hungrig. Wenn du runterfällst, verwechseln sie dich vielleicht mit einem Stück Fleisch.«
Das dürre Mädchen grub ihre schwarzen Klauen tiefer in die Rinde. Ihr war klar, dass er nur halb im Scherz sprach. »Mach dir keine Sorgen, Pa. Die Baumkronen sind meine Welt. Ich werde nicht fallen.« Sie lag lang gestreckt auf einem herabhängenden Ast, dem außer ihr kein erfahrener Astkletterer getraut hätte. Doch sie wusste, dass er sie tragen würde. Wie eine der schlanken braunen Baumeidechsen, mit denen sie sich den Platz teilte, schmiegte sie sich mit dem Bauch an den Ast. Und wie diese lag sie mit ausgestrecktem Körper, klammerte sich mit den Schenkeln fest und grub Finger und Zehen in die Ritzen der Borke. Ihr glänzendes schwarzes Haar hatte sie zu einem Dutzend fester Zöpfe geflochten, die sie im Nacken zusammengebunden hatte. Ihr Kopf hing tiefer als ihre Füße, und die Wange gegen die Rinde gedrückt, verfolgte sie gespannt das Drama, das sich unter ihr abspielte.
Thymaras Baum war einer von Tausenden, die den Wald der Regenwildnis bildeten. Zu beiden Seiten des breiten grauen Regenwildflusses dehnte sich viele Tagesreisen weit der Wald in alle Richtungen aus. Nahe Cassarick und auch noch einige Tagesreisen stromaufwärts herrschten Lattenbäume vor. Ihre horizontal weit auskragenden Äste waren hervorragend zum Hausbau geeignet. Größere Bäume entwickelten Luftwurzeln, die von den Zweigen nach unten wuchsen
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