Raketenmänner (German Edition)
»Ich habe Simon und seine Familie halt zum Grillen eingeladen.«
Simon. Sie kannten sich schon länger. Sie konnte nichts mit ihm haben, sonst hätte er seine Familie nicht mitgebracht, zumindest nicht seine Kinder.
»Du erkennst ihn nicht, oder?«
Kamerke wusste nicht, was er sagen sollte.
»Simon ist unser DHL -Bote. Du weißt doch, von der Elfenbeinküste.«
Jetzt erinnerte sich Kamerke. Bei der WM 2006 waren sie ins Gespräch gekommen, weil Simon statt in seinem gelb-roten Dienst-Poloshirt in einem orangefarbenen Trikot der Nationalmannschaft seines Heimatlandes vor der Tür gestanden hatte. Simon war Prediger in einer Kirche, die sich Église Évangélique der schönen Botschaft nannte. Kamerke hatte zweimal nachgefragt, ob es mit diesem französisch-deutschen Mix wirklich seine Richtigkeit hatte.
Die anderen waren aufgestanden und kamen auf Kamerke zu, um ihn zu begrüßen. So warmherzig war er hier schon lange nicht mehr willkommen geheißen worden. Simon wies mit feierlicher Geste auf einen Mann, der noch etwas größer war als er selbst. »Das ist mein Bruder Jakob.«
»Wir sollten einen Kanon singen«, sagte Kamerke.
»Singen öffnet das Herz«, sagte Jakob und reichte Kamerke, der hoffte, dass man ihn nicht beim Wort nahm, die Hand.
»Und das hier ist seine Frau Dalila.«
Kamerke kam sich vor wie beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Dalila hatte rot gefärbte Locken und trug einen hellblauen Rock. »Wir freuen uns so, dass wir bei Ihnen zu Gast sein dürfen!«
»Und das ist meine Frau«, sagte Simon und stellte Kamerke eine stämmige, kleine Afrikanerin vor.
»Josepha, mit ph«, sagte sie und reichte Kamerke die Hand.
»Meine Kinder Joseph und Esther!«
Die Kinder stellten sich kurz vor Kamerke hin, hielten die Hände auf dem Rücken verschränkt und liefen dann lachend weg.
»Josepha«, sagte Kamerkes Frau, »Sie wollten mir doch noch etwas zeigen!«
Josepha warf Kamerke einen unsicheren Blick zu. »Ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt ist.«
»Aber natürlich«, sagte Kamerkes Frau. »Ich bin sehr neugierig!« Und, an ihren Mann gewandt: »Josepha entwirft Schmuck. Simon hat mir ein paar Zeichnungen gezeigt, da bin ich neugierig geworden.«
»Das würde mich auch interessieren!«, sagte Kamerke.
Josepha lachte. »Also gut!« Sie verschwand hinaus in den Regen, und Simon legte seinen Arm um Kamerke und sagte, Kamerke müsse unbedingt am Samstag zu ihm in den Gottesdienst kommen. »Treffen, Singen, Kuchen, Freude haben!«, sagte Simon, und Kamerke dachte an den Pastor, der ihn konfirmiert hatte. Und mit einem Mal wusste er, an wen ihn dieser Lemming im Zug erinnert hatte: an genau diesen Pastor.
Erstaunlich, dachte er.
»Wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche?«, fragte Simon.
»Vor zwei Wochen.« Kamerke war sicher, Simon hatte eher mit einer Antwort Richtung »vor zwanzig Jahren« gerechnet. Simons Fröhlichkeit und Zufriedenheit, die aus dem festen Glauben erwuchsen, dass es möglich war, ein sinnerfülltes Leben vor dem Tode zu führen und dass danach auch noch etwas folgen würde, verunsicherten Kamerke. Dieses Vertrauen hätte er auch gerne gehabt. Deshalb gefiel ihm der Gedanke, er habe Simon mit seiner Antwort überrascht. Dass er vor zwei Wochen, nach einem Termin in Mannheim, nur aus reiner Langeweile einen Abstecher nach Speyer gemacht hatte, um den Dom zu besichtigen, musste er ja nicht erzählen.
»Aber Sie sind kein regelmäßiger Kirchgänger«, sagte Simon.
»Ich muss gestehen: Nein.«
»Vielleicht macht es Ihnen nicht genug Freude, und Sie suchen den Fehler bei sich selbst. Ich sage Ihnen: Es ist der Fehler Ihrer Kirche. Sie muss die Schönheit der Botschaft mit Freude verkünden, dann gehen Sie auch mit Freude in die Kirche.«
»Ihr Deutsch ist ausgezeichnet!«
Simon lächelte. »Schön, dass die zwölf Semester Studium nicht ganz umsonst waren. Wenn Sie mit Hegels Philosophie des Geistes durch sind, kann Sie nichts mehr schocken.«
Kamerke schwieg betreten. Diese Retourkutsche hatte er verdient. Vielleicht gehen wir da wirklich mal hin, Ursula und ich, dachte er. Andere gehen zur Paartherapie, wir gehen Freude haben. Man soll nicht immer den Kopf schütteln, wenn es mal ehrlich wird.
»Sie sehen müde aus«, sagte Simon.
»Ich habe Kopfschmerzen.«
»Wollen Sie mit mir beten?«
»Wieso?«
»Bei Krankheiten hilft die Kraft des Gebetes.«
Ratlos zögerte Kamerke einen Moment, aber da kam Josepha zurück. Sie hatte zwei
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