RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Land. In Griechenland
palavern wir stundenlang, reden uns in Begeisterung und streiten bis aufs
Messer. Doch wer übt hier Kritik an den Worten des Pharaos?«
»Seine Aufgabe ist es, das Gesetz der Maat anzuwenden.
Unterläuft ihm dabei ein Fehler, kommt es zu Unordnung und Unglück, und danach
gieren die Menschen.«
»Habt ihr keinerlei Vertrauen in den einzelnen?«
»Keinerlei, was mich betrifft. Überläßt du ihn sich
selbst, gewinnen Verrat und Feigheit die Oberhand. Den krummen Stab wieder
geradebiegen, das lehrten und forderten die Weisen.«
Homer tat einen weiteren Zug aus seiner Pfeife.
»In meiner Iliaskommt ein Seher vor, den ich
gut gekannt habe. Er wußte um Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Was die
Gegenwart anbelangt, bin ich nicht beunruhigt, denn dein Vater macht jenen
Weisen, die du erwähnt hast, alle Ehre. Doch die Zukunft…«
»Solltest du auch ein Seher sein?«
»Welcher Dichter ist es nicht? Hör diese Zeilen aus
meinem ersten Gesang: ‹Schnell von den Höhn des Olympos enteilte Apoll,
zürnenden Herzens, über der Schulter den Bogen und ringsverschlossenen Köcher.
Hell umklirrten die Pfeile dem zürnenden Gotte die Schultern, wie er selbst
sich bewegte, der düsteren Nacht zu vergleichen… Dann aber gegen die Menschen
die bitteren Pfeile gerichtet, schoß er: rastlos brannten die Totenfeuer in
Menge.›«
»In Ägypten werden nur bestimmte Verbrecher verbrannt.
Um derartig streng bestraft zu werden, muß man schon abscheuliche Verbrechen
begangen haben.«
Homer wirkte beunruhigt.
»Noch herrscht Frieden in Ägypten, doch wie lange
noch? Ich hatte einen Traum, Prinz Ramses, und darin sah ich unzählige Pfeile
wie Schwärme daherfliegen und die Leiber junger Männer durchbohren. Der Krieg
rückt näher, ein Krieg, den ihr nicht werdet aufhalten können.«
Sary und seine Gattin Dolente erfüllten mit Eifer die
ihnen von Chenar übertragene Aufgabe. Nach kurzer Beratung hatten die
Königstochter und ihr Gemahl sich entschlossen, ihm zu gehorchen und eifrig zu
dienen. So würden sie sich nicht nur an Ramses rächen, sondern an Chenars Hof
auch noch eine herausragende Stellung erlangen. Gemeinsamer Kampf bedeutete
gemeinsamen Sieg!
Dolente hatte keinerlei Schwierigkeiten, in die
höheren Kreise Thebens eingeladen zu werden. Man pries sich glücklich, eine
Persönlichkeit von so hohem Rang willkommen zu heißen. Ihren Aufenthalt im
Süden erklärte Sethos’ Tochter mit ihrem Wunsch, diese wunderschöne Provinz ein
wenig kennenzulernen, den Reiz dieser Landschaft zu genießen und sich dem
riesigen Amun-Tempel in Karnak näher zu wissen, wohin sie sich in Begleitung
ihres Gemahls des öfteren für ein Weilchen zurückzuziehen gedächte.
Bei Empfängen und vertraulichen Gesprächen ließ
Dolente geschickt immer wieder ein paar Bemerkungen über Ramses fallen. Wer
wüßte mehr über seine geheimen Absichten als sie? Sethos war ein großer König,
ein untadeliger Herrscher, aber Ramses würde sich als Tyrann entpuppen. Die
Oberschicht Thebens würde keinerlei Rolle mehr spielen in den
Staatsangelegenheiten, dem Amun-Tempel würde weniger Unterstützung zuteil,
kleine Leute wie Ramses’ Freund Ameni würden den Platz des Adels einnehmen.
Punkt für Punkt entwarf Dolente ein abstoßendes Bild und knüpfte so die Bande
zwischen den Gegnern von Ramses immer enger.
Sary seinerseits spielte den Frömmler. Er, der
ehemalige Leiter des hochherrschaftlichen Kap, begnügte sich mit dem
bescheidenen Posten eines Lehrers in einer der Schreiberschulen von Karnak und
reihte sich ein in die Gruppe der Tempeldiener, die für den Blumenschmuck der
Altäre verantwortlich waren. Seine Demut gefiel. Einflußreiche Mitglieder der
religiösen Obrigkeit fanden Gefallen am Gespräch mit ihm und luden ihn zu
Tische. Und dort verspritzte Sary sein Gift, wie seine Gemahlin andernorts.
Als er eingeladen wurde, die große Baustelle zu
besichtigen, auf der Moses arbeitete, beglückwünschte er seinen ehemaligen
Schüler zu dem gelungenen Werk. Keine Säulenhalle würde an die von Karnak
heranreichen, deren Ausmaße den Göttern wahrlich angemessen waren.
Moses war noch kräftiger geworden. Bärtig und mit
sonnenverbranntem Gesicht saß er gedankenversunken im Schatten eines riesigen
Säulenkapitells.
»Wie ich mich freue, dich wiederzusehen! Noch einer
meiner Schüler, dessen Erfolg ins Auge springt.«
»Sei nicht zu voreilig, denn solange die letzte Säule
nicht steht, habe ich noch keine Ruhe.«
»Man
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