RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
königlichen
Gemahlin zur Hand ging bei den Ritualhandlungen. Die junge Frau war zu Tränen
gerührt. So hatte ihr Lebensweg sie also doch nicht, wie befürchtet, vom
Tempeldienst entfernt.
»Mir gefällt das nicht«, mäkelte Ameni.
Da Ramses wußte, wie griesgrämig er manchmal sein
konnte, hörte er nur mit halbem Ohr zu.
»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, hörte er
abermals.
»Sollte man dir minderwertigen Papyrus geliefert
haben?«
»Den hätte ich doch gar nicht erst angenommen, darauf
kannst du Gift nehmen. Fällt dir denn nichts auf? In deiner Umgebung?«
»Des Pharaos Gesundheit ist nicht beeinträchtigt,
meine Mutter und meine Gemahlin sind die besten Freundinnen, das Land lebt in
Frieden, Homer schreibt. Was kann man sich sonst noch wünschen? Ja, ich weiß!
Du bist noch immer nicht verlobt!«
»Ich habe keine Zeit für solche Belanglosigkeiten.
Hast du sonst nichts bemerkt?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Du hast nur noch Augen für Nefertari.
Verständlicherweise. Zum Glück jedoch hast du mich. Ich wache und horche.«
»Und was hörst du?«
»Beunruhigendes Gerede. Man versucht dein Ansehen zu
untergraben.«
»Trägt Chenar die Schuld daran?«
»Dein Bruder befleißigt sich erstaunlicher
Zurückhaltung seit einigen Monaten. Im Gegenzug wird aber das abschätzige
Gemunkel bei Hofe immer lauter.«
»Das ist lästig, aber unwichtig.«
»Da bin ich aber anderer Meinung.«
»All diese Schwätzer werde ich schon das Schweigen
lehren!«
»Das wissen sie«, bemerkte Ameni. »Darum werden sie
sich gegen dich auflehnen.«
»Außerhalb der Palasthallen oder der Empfangssäle
ihrer prächtigen Villen haben sie keinen Funken Mut.«
»Da magst du recht haben, doch ich fürchte, sie werden
sich gegen dich verbünden.«
»Sethos hat seinen Nachfolger bestimmt. Alles übrige
ist Geschwätz.«
»Glaubst du, Chenar verzichtet freiwillig auf den
Thron?«
»Du sagst doch selbst, daß er gefügig geworden ist.«
»Genau das beunruhigt mich. Es paßt so gar nicht zu
ihm!«
»Du machst dir zu viele Sorgen, mein Freund. Sethos
schützt uns.«
»Solange er lebt«, dachte Ameni bei sich. Er war
entschlossen, Ramses zu warnen, denn die Stimmung wurde immer unbehaglicher.
FÜNFZIG
ramses’ und nefertaris
tochter hatte nur zwei Monate gelebt. Das
schwächliche Kind, das auch nicht essen wollte, war ins Reich der Schatten
heimgekehrt. Der Kummer der jungen Frau hatte den Ärzten viel Sorge bereitet.
Drei Wochen lang hatte Sethos ihr täglich die Hände aufgelegt, um ihr die
notwendige Kraft zu verleihen, diesen Schmerz zu überwinden.
Der Regent leistete seiner Gemahlin hilfreichen
Beistand. Kein Ton der Klage kam über Nefertaris Lippen. Allzugern raffte der
Tod Neugeborene dahin, ungeachtet ihrer Herkunft. Aus ihrer Liebe zu Ramses
würde ein neues Kind entstehen.
Der kleine Kha war gesund. Eine Amme nahm sich seiner
an, während Iset, die Schöne, in den höheren Kreisen Thebens mehr und mehr Fuß
faßte. Sie hatte ein offenes Ohr für die Klagen Dolentes und ihres Gatten und
wunderte sich über Ramses’ ungerechte Entscheidung. In der großen Stadt des
Südens fürchtete man seine Thronbesteigung, denn er galt als Despot, der sich
um das Gesetz der Maat recht wenig scherte. Iset erhob zwar Einwände, doch
angesichts der vielen Klagen verschlug es ihr die Sprache. War ihr Geliebter
wirklich ein machtbesessener Tyrann, ein völlig gefühlloses Ungeheuer?
Abermals fielen ihr Chenars Worte ein.
Sethos gönnte sich keine Ruhe mehr. Sobald seine
Verpflichtungen es ihm erlaubten, ließ er Ramses kommen. Im Garten des Palastes
führten Vater und Sohn lange Gespräche. Sethos, der am Schreiben keinerlei
Gefallen fand, vermittelte seine Lehren lieber mündlich. So mancher König vor
ihm hatte »Lehren« verfaßt und seinem Nachfolger Weisungen für das
Regierungsamt hinterlassen. Er sprach lieber. Der Junge sollte den Worten des Alten
lauschen.
»Genügen wird dieses Wissen nicht«, mahnte er, »aber
es ist doch immerhin so viel wert wie Schild und Schwert für einen Fußsoldaten.
Du wirst dich verteidigen und angreifen können. Zeiten des Glücks wird jeder
sich selbst zuschreiben, doch sobald Unglück hereinbricht, wirst du der einzig
Schuldige sein. Wenn dir ein Fehler unterläuft, suche die Schuld nur bei dir,
bei keinem anderen, und dann berichtige ihn. Die gerechte Ausübung der Macht
ist die ständige Berichtigung des Denkens und Handelns. Es ist an der Zeit, daß
ich dir eine
Weitere Kostenlose Bücher