RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
wachen? Nefertari war ein Geheimnis. Ein Geheimnis mit dem
bezaubernden Lächeln der Göttin Hathor, so wie er sie in der Grabstätte des
ersten Ramses, seines Ahns, gesehen hatte.
Iset, die Schöne, verkörperte die Erde, Nefertari den
Himmel. Ramses brauchte die eine wie die andere, doch Iset galten nur seine
Leidenschaft und sein Verlangen.
Nefertari aber war die Liebe.
Sethos betrachtete die untergehende Sonne. Als Ramses
ihn begrüßte, lag bereits Dämmerung über dem Palast. Der König hatte keine
Lampe angezündet.
»Mich hat ein beunruhigender Bericht von den
Wachmannschaften im Delta erreicht«, offenbarte er seinem Sohn. »Meine Berater
glauben an einen unerheblichen Zwischenfall, doch ich bin überzeugt, daß sie
sich irren.«
»Was ist vorgefallen?«
»Seeräuber haben ein Fischerdorf am Rande des Mittelmeers
überfallen. Die Küstenwachen haben daraufhin den Rückzug angetreten, behaupten
aber, die Lage im Griff zu haben.«
»Ob sie lügen?«
»Das wirst du herausfinden.«
»Warum hegst du diesen Verdacht?«
»Diese Seeräuber sind furchterregende Plünderer. Wenn
es ihnen gelingt, ins Landesinnere vorzudringen, werden sie Angst und Schrecken
verbreiten.«
Ramses fuhr auf.
»Ist denn die Küstenwache nicht in der Lage, unsere
Sicherheit zu gewährleisten?«
»Die Verantwortlichen haben die Gefahr vielleicht
unterschätzt.«
»Ich breche unverzüglich auf.«
Der König betrachtete abermals den Sonnenuntergang.
Gern hätte er seinen Sohn begleitet, die Wasserlandschaft des Deltas wiedergesehen
und an der Spitze des Heers die Allmacht des Staates bekundet. Doch nach
vierzehn Regierungsjahren nahm die Krankheit allmählich von ihm Besitz. Zum
Glück ging die ihn beseelende Kraft allmählich in Ramses’ Blut über.
Die Wachen hatten sich in einiger Entfernung von der
Küste in einem Weiler am Ufer eines Nilarms erneut gesammelt und in aller Eile,
bis Verstärkung da war, Befestigungen aus Hölzern errichtet. Als die vom
Regenten angeführten Truppen endlich eintrafen, kamen sie aus ihren Unterständen
und liefen ihren Rettern entgegen.
Der dickbäuchige Wachtmeister war als erster bei
Ramses und warf sich vor dem Streitwagen in den Schlamm.
»Wir sind unversehrt, Majestät! Kein einziger ist
verwundet.«
»Steh auf.«
Die arglose Freude wurde von einer eisigen Stimmung
gelähmt.
»Wir – wir waren zu wenige, um Widerstand zu leisten.
Die Seeräuber hätten uns niedergemacht.«
»Wie weit sind sie vorgedrungen?«
»Sie haben die Küste nicht verlassen und ein anderes
Dorf überfallen.«
»Weil ihr zu feige wart!«
»Aber Majestät, das wäre ein ungleicher Kampf
gewesen.«
»Mach meinen Weg frei.«
Dem Wachtmeister blieb gerade noch Zeit, zur Seite zu
springen. Da er mit gesenktem Kopf dastand, sah er nicht, wie der Streitwagen
des Regenten auf das Leitschiff eines beeindruckenden Flottenverbandes aus
Memphis zufuhr. Kaum war Ramses an Bord, gab er Befehl, schnurgerade nach
Norden zu rudern.
Er war rasend vor Zorn auf diese Seeräuber und diese
unfähigen Soldaten, und er verlangte von seinen Ruderern die Aufbietung
sämtlicher Kräfte. Ihr Eifer erlahmte nicht, sie ließen sich sogar anstecken
und hatten es plötzlich genauso eilig wie er, an der Meeresgrenze Ägyptens die
Ordnung wiederherzustellen.
Ramses fuhr geradewegs auf sein Ziel los.
Die Seeräuber, die sich inzwischen in den beiden
eroberten Dörfern niedergelassen hatten, wußten noch nicht so recht, wie sie
sich verhalten sollten. Sollten sie ihren Zugriff auf die Küste erweitern und
sich am Sieg erfreuen oder die Beute packen und heimfahren und in näherer
Zukunft erneut angreifen?
Als Ramses sie angriff, saßen sie gerade beim
Mittagsmahl und aßen Fisch. Trotz der zahlenmäßig gewaltigen Überlegenheit des
Gegners verteidigten die Seeräuber sich mit unglaublicher Wildheit. Der Riese
allein erledigte rund zwanzig Fußsoldaten, mußte aber der großen Zahl dann doch
weichen.
Mehr als die Hälfte der Seeräuber war getötet worden,
ihr Schiff stand in Flammen, aber ihr Anführer weigerte sich, vor Ramses klein
beizugeben.
»Wie heißt du?«
»Serramanna.«
»Woher kommst du?«
»Aus Sardinien. Du hast mich besiegt, aber andere
sardische Schiffe werden mich rächen. Zu Dutzenden werden sie einfallen, und du
wirst sie nicht aufhalten können. Wir wollen die Reichtümer Ägyptens, und wir
werden sie uns holen.«
»Wieso beschränkt ihr euch nicht auf euer eigenes
Land?«
»Erobern ist unser Lebensinhalt.
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