RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
und
Verantwortlichkeiten hinweisen würde.
Wie konnte er unter diesen Umständen mit ihm unter
vier Augen sprechen? Es kam vor, daß der König sich kurz zu seinen Untergebenen
gesellte und die Ausgezeichneten persönlich beglückwünschte. Und er, Ramses,
hatte nicht nur eine fehlerfreie Arbeit abgeliefert, sondern als einziger das
Rätsel der zu neuem Leben erweckten Schreibtafel gelöst. Daher bereitete er
sich auf eine Begegnung mit seinem Vater vor, dessen Schweigen ihm ungerecht
schien. Wenn er Memphis verlassen und sich mit der unrühmlichen Rolle eines
Provinzschreibers begnügen sollte, wollte er den Befehl dazu vom Pharao selbst
und von keinem anderen erhalten.
Die königlichen Schreiber, ihre Familienangehörigen
und all diejenigen, die sich Empfänge solcher Art nie entgehen ließen, tranken,
aßen und plauderten. Auch Ramses kostete den kräftigen Oasenwein und das starke
Bier. Während er seine Schale leerte, bemerkte er auf einer Bank im Schutze
einer Laube ein junges Paar.
Sein Bruder Chenar und Iset, die Schöne.
Mit großen Schritten ging Ramses auf die beiden zu.
»Glaubst du nicht, meine Schöne, es sei notwendig,
eine endgültige Wahl zu treffen?«
Die junge Frau erschrak, doch Chenar bewahrte die
Ruhe.
»Du bist recht unhöflich, geliebter Bruder. Habe ich
etwa nicht das Recht, mich mit einer Dame von Stand zu unterhalten?«
»Ist sie das wirklich?«
»Werde nicht ausfallend.«
Mit glühenden Wangen lief Iset, die Schöne, davon und
überließ die Brüder ihrem Wortgefecht.
»Du wirst unerträglich, Ramses, dein Platz ist nicht
mehr hier.«
»Bin ich nicht königlicher Schreiber?«
»Jetzt prahlst du auch noch damit! Ohne meine
Zustimmung wirst du keinen Posten erhalten.«
»Dein Freund Sary hat es mir bereits angedeutet.«
»Mein Freund? Doch wohl eher deiner! Er hat nur
versucht, dir einen weiteren Fehler zu ersparen.«
»Stell dieser Frau nicht weiter nach!«
»Du wagst es, mir zu drohen, mir?!«
»Wenn ich in deinen Augen ein Nichts bin, was habe ich
dann noch zu verlieren?«
Chenar ließ ab vom Kampf, seine Stimme nahm einen
öligen Ton an.
»Du hast recht. Es ist gut, wenn eine Frau treu ist.
Lassen wir sie entscheiden, einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Zerstreu dich, da du nun schon einmal hier bist.«
»Wann wird der König das Wort ergreifen?«
»Ach, du weißt es nicht? Der Pharao residiert
augenblicklich im Norden. Er hat mich gebeten, an seiner Statt die königlichen
Schreiber zu beglückwünschen. Dein Erfolg verdient die ausgesetzte Belohnung:
eine Jagd in der Wüste.«
Chenar entfernte sich.
Verstimmt kippte Ramses eine Schale Wein hinunter. So
würde er also seinen Vater nicht mehr wiedersehen. Chenar hatte ihn
herausgefordert, um ihn noch tiefer zu demütigen. Der Prinz trank mehr, als
vernünftig war, und verzichtete darauf, sich den Grüppchen zuzugesellen, deren
nichtiges Gerede ihn langweilte. In ihm war Groll. Da stieß er mit einem
auffallend eleganten Schreiber zusammen.
»Ramses! Welch eine Freude, dich wiederzusehen!«
»Acha! Du bist noch in Memphis?«
»Ich reise übermorgen in den Norden. Weißt du das
Neueste denn noch nicht? Der Trojanische Krieg nimmt eine entscheidende
Wendung. Die griechischen Barbaren haben es sich nicht versagt, Priamos’
Hauptstadt in ihre Gewalt zu bringen, und man munkelt, Achill habe Hektor
getötet. Meine erste Mission besteht darin, an der Seite von erfahrenen
Gesandten Genaueres über diese Sachlage einzuholen. Und du? Wirst du bald mit
einer großen Verwaltungsaufgabe betraut werden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Deine Glanzleistung von neulich hat Lob und Neid
geweckt.«
»Daran werde ich mich gewöhnen.«
»Drängt es dich nicht, in ferne Länder zu gehen? Ach,
verzeih! Ich vergaß deine bevorstehende Heirat. Ich werde nicht mitfeiern
können, aber in Gedanken von Herzen bei dir sein.«
Ein Gesandter faßte Acha am Arm und nahm ihn zur
Seite. Die Mission des angehenden Diplomaten hatte begonnen.
Ramses spürte, wie Trunkenheit ihn befiel. Er kam sich
vor wie ein zerbrochenes Ruder, wie ein Gebäude, dessen Mauern ins Wanken
gerieten. Wütend schleuderte er die Trinkschale von sich. Niemals mehr würde er
sich so gehenlassen, das schwor er sich.
ZEHN
im morgengrauen brachen die Jäger in großer Zahl zur westlichen Wüste
auf. Ramses hatte seinen Hund Ameni anvertraut, der beschlossen hatte, dem
Rätsel der fehlerhaften Tintensteine auf den Grund zu gehen. Im Laufe des Tages
würde
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