RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
brennen. Die Sonne gewährte der Morgenröte nur einen kurzen Augenblick
der Zärtlichkeit. Siegreich war sie aus dem Kampf gegen die Finsternis und den
lebenverschlingenden Drachen hervorgegangen, und diesen Sieg stellte sie nun
mit solcher Macht zur Schau, daß die Menschen vor ihr Schutz suchen mußten.
Ramses erwachte.
Sein Begleiter war verschwunden. Der Prinz war allein,
ohne Wegzehrung und ohne Waffen, etliche Stunden Fußmarsch entfernt von dem
Ort, wo die Jäger ausgeschwärmt waren. Unverzüglich machte er sich auf und ging
gemessenen Schrittes, um seine Kräfte nicht zu vergeuden.
Der Mann hatte ihn im Stich gelassen, vermutlich in
der Hoffnung, daß er diesen Gewaltmarsch nicht überstehen würde. Wem gehorchte
er damit, wer hatte ihn angestiftet, ihm eine solche Falle zu stellen, damit
ein geplanter Mord als Jagdunfall gemeldet werden konnte? Jeder kannte das
Ungestüm des jungen Mannes; war er erst einmal hinter einer Beute her, würde er
jegliche Vorsicht vergessen und sich in der Wüste verirren.
Chenar! Das konnte nur Chenar sein, der war so
verschlagen und nachtragend! Da sein Bruder sich geweigert hatte, Memphis zu
verlassen, schickte er ihn an das Gestade des Todes. Ramses war außer sich vor
Zorn, dieses Los würde er nicht hinnehmen! Da er über einen hervorragenden
Orientierungssinn verfügte, ging er die ganze Strecke zurück, zielstrebig wie
ein Eroberer.
Eine Gazelle floh vor ihm und alsbald ein Steinbock
mit zurückgebogenen Hörnern, nachdem er den Eindringling hinreichend beäugt und
gemustert hatte. Ließ das Verhalten der Tiere auf eine Wasserstelle schließen,
die in der Nähe lag und die sein Begleiter ihm verschwiegen hatte? Entweder
verfolgte er den eingeschlagenen Weg und lief Gefahr zu verdursten, oder er
vertraute dem Instinkt der Tiere.
Der Prinz entschied sich für die zweite Lösung.
Als er Steinböcke, Gazellen und Antilopen und in der
Ferne auch noch eine rund zwanzig Ellen hohe Dattelpalme entdeckte, schwor er
sich, nur mehr seinem Gespür zu vertrauen. Den dicht verzweigten Baum mit der
grauen Rinde zierten kleine duftende Blüten von gelbgrüner Farbe; er lieferte
eine eßbare Frucht von weichem und süßem Fleisch, die, schmal geformt,
fingerlang werden konnte und die die Jäger »Wüstenbrot« nannten. Zudem besaß er
gefährliche Waffen mit seinen langen, stacheligen Dornen, die an der Spitze
hellgrün waren. Der schöne Baum spendete ein wenig Schatten und barg eine
dieser geheimnisvollen Quellen, die mit dem Segen des Gottes Seth aus dem
Inneren der Wüste hervorsprudeln.
An den Baum gelehnt saß ein Mann und aß Brot.
Ramses trat näher und erkannte in ihm den Anführer der
Stallburschen, die Ameni gequält hatten.
»Die Götter seien dir gewogen, mein Prinz. Solltest du
dich verirrt haben?«
Ramses, dem die Lippen ausgetrocknet und die Zunge
hart geworden waren und dem der Kopf glühte, hatte nur Augen für den
Wasserschlauch neben dem linken Bein des struppigen, schlecht rasierten Kerls.
»Solltest du durstig sein? Dann hast du Pech gehabt.
Denn wie käme ich dazu, dieses kostbare Wasser an einen Mann zu verschwenden,
der dem Tod geweiht ist?«
Der Prinz war nur noch etwa zehn Schritte von seiner
Rettung entfernt.
»Du hast mich gedemütigt, weil du Königssohn bist!
Seitdem bin ich das Gespött meiner Untergebenen.«
»Laß deine Lügen, wer hat dich bezahlt?«
Der Pferdeknecht grinste.
»Das Nützliche verbindet sich gern mit dem Angenehmen.
Als dein Jagdgefährte mir fünf Kühe und zehn Stück Leinen bot, um dich
loszuwerden, habe ich sofort zugegriffen. Ich wußte, daß du hierherkommen
würdest. Den anderen Weg zurückzugehen, ohne etwas zu trinken, wäre Selbstmord
gewesen. Du glaubtest, die Gazellen, die Antilopen und die Steinböcke würden
dir das Leben retten, dabei haben sie dich zum Jagdwild gemacht.«
Der Mann stand auf. Er hatte ein Messer in der Hand.
Ramses las in den Gedanken seines Widersachers, daß
dieser auf einen Kampf wie neulich gefaßt war, mit Ringergriffen, die adelige
Sprößlinge spielerisch lernten. Aber jetzt, hilflos ausgeliefert, erschöpft und
durstig, würde der junge Mann der rohen Gewalt kaum mehr etwas entgegenzusetzen
haben.
Er konnte sich nur noch selbst als Waffe benutzen.
Mit einem zornigen, kraftvollen Schrei stürzte Ramses
sich auf den Stallknecht. Der war so überrumpelt, daß ihm gar keine Zeit blieb,
sein Messer zu benutzen. Unter dem Anprall stürzte er nach hinten in die
spitzen Dornen der
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