RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
im
Palast zu erscheinen.«
»Du willst sagen, bei meinem Vater?«
»Es gibt nur einen Sethos.«
»Im Palast als Gast? Ist das wieder einer deiner
zweifelhaften Scherze?«
»Dir wichtige Nachrichten zu überbringen gehört zu
meinen Aufgaben.«
»Im Palast…«
Ramses träumte davon, seinem Vater erneut zu begegnen.
Als königlicher Schreiber hätte er wohl Anrecht auf ein kurzes Gespräch. Was
sollte er ihm sagen? Sich auflehnen, Erklärungen erbitten, gegen sein Verhalten
aufbegehren, in Erfahrung bringen, was er von ihm verlangte, was er mit ihm
vorhatte… Darüber nachzudenken, war noch Zeit.
»Ich habe noch eine Nachricht, und die ist weniger
erfreulich.«
»Erklär dich.«
»Unter den schwarzen Tintensteinen, die mir gestern
geliefert wurden, sind zwei von sehr schlechter Qualität. Ich probiere sie
immer erst aus, bevor ich sie verwende.«
»Ist es so arg?«
»Eine ganz üble Schlamperei! Ich beabsichtige,
Nachforschungen anzustellen – in deinem Namen. Ein königlicher Schreiber kann
so etwas nicht dulden.«
»Wie es dir beliebt. Darf ich jetzt etwas schlafen?«
Sary beglückwünschte seinen früheren Schüler. Von nun
an brauchte Ramses keinen Lehrer mehr, der sich eingestehen mußte, daß er ihn
nicht vorbereitet hatte auf die schwierige Prüfung für das Amt eines
königlichen Schreibers. Dennoch war der Erfolg des Schülers teilweise als
Verdienst des Lehrers gewertet und er in den Rang des Verwalters des Kap
erhoben worden, eine Ernennung, die ihm eine geruhsame Laufbahn sicherte.
»Du hast mich erstaunt, das gebe ich zu. Aber
berausche dich nicht an dieser Leistung. Sie hat dir ermöglicht, ein Unrecht
wiedergutzumachen und Ameni zu retten. Ist das nicht genug?«
»Ich verstehe nicht recht.«
»Ich habe die Mission, die du mir auftrugst, erfüllt.
Deine Freunde und deine Feinde auszumachen. Zur ersten Kategorie kann ich
eigentlich nur deinen Schreiber Ameni zählen. Deine Glanzleistung hat Neid
erweckt, aber das ist unwesentlich. Das Wichtigste ist, daß du Memphis verläßt
und dich im Süden niederläßt.«
»Sollte mein Bruder dich geschickt haben?«
Sary wirkte verlegen.
»Mal dir keine finsteren Machenschaften aus, aber geh
nicht in den Palast. Dieser Empfang betrifft dich nicht.«
»Ich bin königlicher Schreiber.«
»Glaub mir, deine Anwesenheit ist weder erwünscht noch
wünschenswert.«
»Und wenn ich darauf beharre?«
»Dann wirst du zwar königlicher Schreiber bleiben,
aber außer Dienst. Widersetze dich Chenar nicht, du wirst in dein Unglück
rennen.«
Sechzehnhundert Säcke Roggen und ebensoviel Weizen
waren in den Königspalast geschafft worden, um etliche tausend Kuchen und
Küchlein verschiedenster Form zu bereiten, zu denen süßes Bier und Wein aus den
Oasen gereicht werden sollten. Dem Fleiß des Hofmeisters war es zu verdanken,
daß die Gäste, die zum Empfang der königlichen Schreiber geladen waren, die
Erzeugnisse des Bäcker- und Konditorhandwerks kosten durften, sobald der erste
Stern am Nachthimmel stand.
Ramses war unter den ersten, die Einlaß heischten am
großen Tor in der Umfassungsmauer, wo Tag und Nacht die Leibgarde des Pharaos
Wache stand. Obgleich die Soldaten den jüngeren Sohn Sethos’ erkannt hatten,
überprüften sie seine Beglaubigung als königlicher Schreiber, bevor sie ihn in
den weiten, mit Hunderten von Bäumen bepflanzten Park hineinließen, wo uralte
Akazien sich im Wasser eines zur Zierde angelegten Sees spiegelten. Ringsum
standen Tische mit Körben voller Gebäck, Brot und Früchten, und auf hohen
Schemeln prangten Blumengebinde. Mundschenke füllten Alabasterschalen mit Wein
und Bier.
Der Prinz hatte nur Augen für den Mitteltrakt des
Palastes, wo die Audienzsäle lagen, deren Wandfliesen in den reizvollsten
Farben schimmerten und bei allen Besuchern Bewunderung weckten. Bevor er als
Zögling im Kap wohnen mußte, hatte er in den königlichen Gemächern gespielt und
sich sogar bis auf die Stufen des Thronsaals vorgewagt, was seine Amme, die ihn
länger alsdrei Jahre gestillt hatte, allerdings tadelnswert fand. Er
erinnerte sich noch gut an den Thronsessel des Pharaos, der auf einem Sockel
stand und die Geradlinigkeit der Maat versinnbildlichte.
Ramses hatte gehofft, Sethos würde die Schreiber im
Palast empfangen, und nun mußte er erkennen, daß der Pharao wohl nur am Fenster
zum großen Hof, wo sie sich alle sammeln sollten, erscheinen und sie in einer
kurzen Ansprache nochmals auf die Tragweite ihrer Pflichten
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