RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
bist stärker als er!«
»Wir sind keine Gegner mehr, weil wir einen Pakt
geschlossen haben.«
Sethos nahm einen Dolch aus seiner Lederhülle und
schnitt Ramses mit leichter und sicherer Hand die Kindheitslocke ab.
»Vater…«
»Deine Kindheit ist vorbei. Morgen, Ramses, beginnt
das Leben.«
»Aber ich habe den Stier doch nicht besiegt.«
»Du hast die Angst besiegt, den ersten der Feinde auf
dem Wege zur Weisheit.«
»Gibt es da noch viele?«
»Bestimmt mehr als Sandkörner in der Wüste.«
Die Frage brannte dem jungen Mann auf den Lippen.
»Darf ich das so verstehen… daß du mich zum Nachfolger erwählt hast?«
»Glaubst du, Mut allein genüge, um Menschen zu
leiten?«
ZWEI
sary, ramses’ erzieher, suchte im ganzen Palast nach seinem Zögling. Es war
nicht das erste Mal, daß der junge Mann, anstatt rechnen zu lernen, sich
davonstahl, um nach den Pferden zu schauen oder mit einer Horde
vergnügungssüchtiger und widerspenstiger Freunde ein Wettschwimmen zu
veranstalten.
Der beleibte, leutselige, jedem Sport abholde Sary
hatte ständig etwas auszusetzen an seinem Zögling. Doch in helle Aufregung
geriet er bei Torheiten dieser Art, denn er verdankte den beneideten Posten
eines Prinzenerziehers eigentlich nur seiner Heirat mit einer sehr viel
jüngeren Frau, und die war die ältere Schwester von Ramses.
Beneidet… Die hatten ja alle keine Ahnung, wie
störrisch und unbeugsam dieser jüngere Sohn des Pharaos sich gebärdete! Wäre er
– Sary – nicht von Natur aus so geduldig und so erpicht darauf, einem oft
unverschämten und überaus selbstsicheren Knaben die Welt des Geistes zu
eröffnen, hätte er sein Amt längst niedergelegt. Wie es die Tradition gebot,
kümmerte der Pharao sich nicht um die Erziehung seiner Kinder, solange sie noch
klein waren. Er wartete den Augenblick ab, da im Jüngling der Erwachsene zum
Vorschein kam. Dann erst fanden die erste Begegnung und die erste Prüfung
statt, die erweisen sollten, ob er würdig wäre, eines Tages zu regieren. In
diesem Fall war die Entscheidung längst gefallen:
Chenar, der Ältere, würde den Thron besteigen. Dennoch
oblag ihm, Sary, die schwierige Aufgabe, das Ungestüm des jungen Ramses in die
richtigen Bahnen zu leiten, um einen guten Heerführer oder zumindest einen
zufriedenen Höfling aus ihm zu machen.
Sary, in der Blüte seiner dreißig Jahre, hätte es sich
eigentlich ganz gern wohl sein lassen am Weiher seines herrschaftlichen
Anwesens, in Gesellschaft seiner zwanzigjährigen Gemahlin. Aber wäre es nicht
auch langweilig? Dank Ramses glich kein Tag dem anderen. Der Tatendrang dieses
Knaben war nicht zu löschen, ständig fiel ihm etwas Neues ein, etliche Erzieher
hatte er aufgerieben, bevor er sich mit Sary abfand. Trotz häufiger
Zusammenstöße war es Sary gelungen, den Geist des jungen Mannes zu wecken und
ihm alle Wissenschaften nahezubringen, die ein Schreiber kennen und beherrschen
mußte. Wenn er es sich auch nicht eingestehen wollte, so bereitete es ihm doch
Vergnügen, den wachen Verstand des jungen Ramses mit den oft verblüffenden
Einfallen zu schärfen.
In der letzten Zeit waren ihm Veränderungen aufgefallen.
Der junge Mann, der keinen Augenblick tatenlos verharren konnte, vertiefte sich
plötzlich in die Lehren des alten Weisen Ptah-hotep; Sary hatte ihn sogar dabei
überrascht, wie er traumverloren den Tanz der Lerchen im Morgenlicht
betrachtete. Er wurde langsam reifer, bald wäre sein Werk vollendet. In vielen
Fällen gelang das nicht. Aus welchem Holz würde der Mann Ramses wohl gemacht
sein, fragte sich sein Erzieher so manches Mal. Würde das Feuer der Jugend sich
wandeln in ein anderes, nicht so ungestümes, aber ebenso kraftvolles Feuer?
Wie sollte er sich keine Sorgen machen angesichts
einer so breitgefächerten Begabung? Am Hofe wie auch in jeder anderen
Gesellschaftsschicht waren die Mittelmäßigen, deren Nachfolge gesichert war,
abweisend, wenn nicht gar haßerfüllt gegenüber jenen, deren Persönlichkeit sie
noch bedeutungsloser erscheinen ließ. Obwohl Sethos’ Nachfolge niemanden
überraschte und Ramses sich nicht zu scheren hatte um die unausbleiblichen
Ränke, die mit Macht ausgestattete Männer immer schmiedeten, konnte seine
Zukunft dennoch weniger rosig aussehen als geplant. Einige überlegten bereits,
wie sie ihn von hohen Staatsämtern ausschließen könnten, der eigene Bruder als
erster. Was würde aus ihm werden, abgeschoben in eine ferne Provinz, könnte er
sich an das
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