RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Amun-Priesters und seiner Amtsbrüder sicherte.
Gewiß, die Anwesenheit von Ramses störte ihn, doch was
er nach Sethos’ unverständlicher Weigerung, den Bruder zum Vizekönig in Nubien
zu ernennen, befürchtet hatte, war nicht eingetreten. Der Pharao hatte seinem
jüngeren Sohn keinerlei Vorrang eingeräumt, und dieser gab sich offensichtlich
auch wie so viele andere Königskinder mit einem Leben in Luxus und Trägheit zufrieden.
Im Grunde hatte Chenar Ramses zu Unrecht gefürchtet
und als Rivalen angesehen. Seine Kraft und sein Äußeres täuschten, ihm fehlte
der Weitblick eines künftigen Königs. Es wäre nicht einmal nötig, ihn zum
Vizekönig in Nubien zu ernennen, was eine viel zu belastende Aufgabe für ihn
darstellte. Chenar dachte eher an ein Ehrenamt, vielleicht sollte er Ramses zum
Leutnant der Wagenmeisterei ernennen. Da stünden Ramses die besten Reitpferde
zur Verfügung, und er könnte über ein paar ungehobelte Kerle herrschen, während
Iset, die Schöne, das Muskelspiel ihres reichen Gemahls bewunderte.
Die Gefahr lag anderswo. Wie konnte man Sethos
überreden, längere Zeit in den Tempeln zu verweilen und sich zunehmend weniger
um die Geschäfte des Landes zu kümmern? Man mußte ihn geschickt belügen und ihn
behutsam dazu bewegen, sich mehr und mehr in Gedanken dem Jenseits zuzuwenden.
Wenn er, Chenar, die Beziehungen zu ägyptischen und fremdländischen Händlern,
deren Worte beim König nur wenig Gehör fanden, pflegte und vervielfachte, würde
sein Ansehen stetig wachsen und ihn bald unentbehrlich machen. Trotz bieten
durfte man dem Pharao nicht, aber man könnte ihn allmählich ersticken in einem
ganzen Netz von Einflüssen, bevor er gewahr würde, wie gefangen er dann war.
Auch seine Schwester Dolente mußte er außer Gefecht
setzen. Schwatzhaft, verweichlicht und neugierig, wie sie war, wäre sie ohne
jeden Nutzen im Rahmen seiner künftigen Politik. Aus Enttäuschung, keine
vorrangige Stellung mehr einzunehmen, würde sie sogar etliche wohlhabende
Adelige, auf die er nicht verzichten konnte, gegen ihn aufstacheln. Er hatte
schon daran gedacht, Dolente ein riesiges Anwesen, Herden und ein Heer von
Dienern anzubieten, aber das würde ihr bestimmt nicht genügen. Wie ihn
gelüstete es auch sie nach Intrigen und Komplotten. Aber zwei Krokodile
vertrugen sich nicht im selben Sumpf. Doch sich Chenar auf Dauer zu
widersetzen, dazu fehlte seiner Schwester das Zeug.
Iset, die Schöne, probierte bereits das fünfte Kleid,
doch es gefiel ihr auch nicht besser als die vorigen vier, die entweder zu
lang, zu weit oder zuwenig gefältelt waren. Aufgebracht befahl sie ihrer Zofe,
sich an eine andere Weberei zu wenden. Beim großen Festmahl zum Abschluß der
Feierlichkeiten mußte sie die Schönste sein, um Chenar zu verspotten und Ramses
zu verführen.
Atemlos kam die Dienerin angelaufen, der es oblag,
Isets Haar zu frisieren.
»Schnell, schnell, setz dich, ich muß dich kämmen und
dir eine Festtagsperücke aufsetzen.«
»Was ist der Grund für diese Hetze?«
»Eine Zeremonie beim Tempel von Kurna, auf dem
westlichen Ufer.«
»Aber die war doch gar nicht vorgesehen! Die
Kulthandlungen beginnen doch erst morgen.«
»So ist es aber nun mal, die ganze Stadt ist in heller
Aufregung. Wir müssen uns beeilen.«
Widerwillig begnügte Iset sich mit einem Kleid
herkömmlichen Zuschnitts und einer schlichten Perücke, die ihre Jugend und
Anmut nicht sonderlich hervorkehrten. Aber dieses unerwartete Ereignis durfte
sie sich nicht entgehen lassen.
Der Tempel von Kurna würde nach seiner Fertigstellung
dem Kult des unsterblichen Geistes Sethos’ geweiht sein, sobald dieser
zurückgekehrt wäre in den Ozean der Kraft, nachdem er zuvor für die Spanne
eines Lebens im Leib eines Mannes Gestalt angenommen hatte. Noch waren im
geheimen Teil des Bauwerks, wo der König beim Vollzug der Riten dargestellt
war, die Bildhauer am Werk. Adel und hohe Würdenträger drängten sich vor der
Fassade des Heiligtums in jenem großen Hof unter freiem Himmel, den bald ein
Pylon versperren würde. Aus Furcht vor der Glut der Sonne, die trotz der frühen
Stunde sehr heftig brannte, schützten die meisten sich mit viereckigen
Sonnenschirmen. Belustigt betrachtete Ramses diese hohen Persönlichkeiten in
ihren erlesenen Gewändern. Lange Hemden, Umhänge mit bauschigen Ärmeln und
schwarze Perücken verliehen ihnen etwas Gekünsteltes. Sie nahmen sich überaus
wichtig und würden doch, sobald Sethos erschien, zu
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