RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
hat.«
Ramses wußte nichts zu sagen. Er spürte, daß Sethos in
der Lage war, ihn mit einem einzigen Handzeichen oder einem einzigen Blick zu
vernichten. Aus welchem anderen Grunde hätte er ihn sonst an diesen verfemten
Ort gebracht?
»Du hast Angst, und das ist gut so. Nur Prahler und
Dummköpfe kennen keine Angst. Aus dieser Furcht muß eine Kraft entstehen, die
sie zu besiegen vermag. Dies ist das Geheimnis Seths. Wer das leugnete wie
Echnaton, beging einen schweren Fehler und schwächte Ägypten. Ein Pharao
verkörpert auch das Gewitter, den Zorn des Alls, die Unerbittlichkeit des
Blitzes. Er ist der handelnde Arm, der manchmal zuschlägt und straft. An das
Gute im Menschen zu glauben ist ein Fehler, den ein König nicht begehen darf.
Er würde sein Land in den Untergang und sein Volk ins Elend führen. Doch bist
du fähig, Seth die Stirn zu bieten?«
Ein Lichtstreif vom Dach des Heiligtums erhellte das
Standbild eines Mannes. Sein Haupt mit der langen Schnauze und den zwei großen
Ohren flößte Angst ein. Es war Seth, dessen schreckenerregendes Antlitz da aus
der Finsternis auftauchte!
Ramses erhob sich und ging auf ihn zu.
Er stieß gegen eine unsichtbare Mauer und mußte
innehalten; ein zweiter Versuch mißlang ebenfalls, aber beim dritten vermochte
er das Hindernis zu überwinden. Die roten Augen des Standbildes funkelten wie
zwei Flammen. Ramses hielt dem Blick stand, obgleich er ein Brennen verspürte,
als leckte eine Feuerzunge an seinem Körper entlang. Der Schmerz war heftig,
aber er hielt ihn aus. Nein, er würde nicht zurückweichen vor Seth, selbst wenn
er dabei zugrunde ginge.
Das war der entscheidende Augenblick, ein ungleicher
Zweikampf, den er nicht verlieren durfte. Die roten Augen traten aus ihren
Höhlen hervor, eine Flamme umhüllte Ramses, verzehrte ihn vom Kopf an abwärts,
sein Herz zersprang. Doch er blieb aufrecht, heftete all seine Kraft auf Seth
und schleuderte ihn von sich bis in den hintersten Winkel des Heiligtums.
Das Gewitter setzte ein, sintflutartiger Regen ging
auf Auaris nieder. Hagelkörner ließen die Mauern des Heiligtums erbeben. Das
rote Licht erlosch, Seth zog sich in die Finsternis zurück. Er war der einzige
Gott, der keinen Sohn besaß, aber der Pharao Sethos, sein Erbe auf Erden,
erkannte den seinen als mächtigen Mann.
»Deine dritte Reise ist beendet«, murmelte er.
VIERUNDDREISSIG
der hof war vollzählig nach Theben gereist, um teilzunehmen an dem
großartigen Opet-Fest, das Mitte September stattfand. Der Pharao würde dann mit
Amun, dem Verborgenen, in Verbindung treten, damit dieser den Ka seines Sohnes,
der ihn auf Erden vertrat, zu neuem Leben erweckte. Dieses zwei Wochen währende
Fest in der großen Stadt des Südens konnte sich kein Adeliger entgehen lassen.
Die Kulthandlungen waren zwar nur einigen wenigen Eingeweihten vorbehalten,
aber auch das Volk gönnte sich ein paar schöne Tage, und die Reichen luden
ihresgleichen in prachtvolle Landhäuser.
Für Ameni war die Reise ein Qual gewesen. Da er immer
einen ganzen Packen Papyri und all sein Schreibgerät mitschleppen mußte, haßte
er derartige Unternehmungen, weil sie seine Arbeitsgewohnheiten störten. Obwohl
er seinen Unmut nicht verhehlte, hatte er doch alles äußerst sorgfältig
vorbereitet, so daß Ramses zufrieden sein konnte.
DerPrinz war ein anderer geworden seit der
letzten Reise. Er war verschlossener und zog sich häufig zurück, um
nachzudenken. Ameni belästigte ihn nicht, erstattete ihm nur täglich Bericht
über sein Tun. Als königlicher Schreiber und höherer Offizier hatte der Prinz
allerlei Verwaltungsangelegenheiten zu regeln, und das nahm Ameni ihm ab.
Zumindest war man hier auf dem Schiff, das nach Theben
segelte, Iset erst einmal los, sagte sich Ameni. Die ganze Zeit, da Ramses
nicht da war, hatte sie ihm Auskünfte zu entlocken versucht, die er gar nicht
geben konnte. Da er unempfänglich war für den Liebreiz der jungen Frau,
verliefen diese Wortwechsel meist recht stürmisch. Als Iset dann von Ramses
gefordert hatte, seinen Schreiber zu entlassen, hatte der Prinz sie ohne
Umschweife des Hauses verwiesen. Dieser Zwist hatte tagelang angehalten. Das
hübsche Edelfräulein hatte begreifen müssen, daß Ramses seine Freunde nie
verriet.
In seiner engen Kajüte verfaßte Ameni Briefe, die
Ramses mit seinem Siegel versah. Er ließ sich auf einer Matte neben dem
Schreiber nieder.
»Wie kannst du eine so glühende Sonne bloß ertragen?«
wunderte sich
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