RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Ameni. »Mich würde in kürzester Zeit der Schlag treffen.«
»Wir verstehen uns, die Sonne und ich. Ich verehre
sie, sie nährt mich. Willst du nicht ein Weilchen aufhören zu arbeiten und dir
die Landschaft ansehen?«
»Müßiggang macht mich krank. Deine letzte Reise
scheint dir nicht gut bekommen zu sein.«
»Ist das ein Vorwurf?«
»Du bist seitdem zum Einzelgänger geworden.«
»Das habe ich wohl von dir übernommen.«
»Spotte nicht über mich, und bewahre ruhig dein
Geheimnis.«
»Ein Geheimnis? Ja, da magst du recht haben.«
»Du vertraust mir also nicht mehr.«
»Im Gegenteil, du bist der einzige, der das
Unerklärliche zu verstehen vermag.«
»Hat dein Vater dich mit den Osiris-Mysterien vertraut
gemacht?« fragte Ameni begierig.
»Nein, aber er hat mich mit seinen Ahnen bekannt
gemacht, mit all seinen Ahnen.«
Diese letzten Worte hatte Ramses mit einem solchen
Ernst ausgesprochen, daß der junge Schreiber innerlich erbebte. Was der Prinz
da erlebt hatte, war zweifellos eine der wichtigsten Erfahrungen auf seinem
Lebensweg gewesen. Ameni stellte die Frage, die ihm auf den Lippen brannte.
»Hat der Pharao deine Bestimmung geändert?«
»Er hat mir eine andere Wirklichkeit vor Augen
geführt. Ich bin dem Gott Seth begegnet.«
Ameni erschauderte.
»Und du – du lebst noch!«
»Faß mich ruhig an!«
»Sollte sonst jemand behaupten, Seth
gegenübergestanden zu haben, würde ich ihm nicht glauben! Bei dir ist das etwas
anderes.«
Nicht ganz ohne Scheu drückte Ameni Ramses die Hand.
Der Hinge Schreiber seufzte erleichtert.
»Er hat dich nicht in einen bösen Geist verwandelt.«
»Wer weiß?«
»Ich wüßte es, du bist nicht wie Iset, die Schöne!«
»Sei nicht zu streng mit ihr.«
»Hat sie nicht versucht, meine Laufbahn zu zerstören?«
»Ich werde ihr ihren Irrtum schon beweisen.«
»Erwarte nicht von mir, daß ich liebenswürdig bin zu
ihr.«
»Ach, übrigens, bist du nicht etwas zu einsam und
vielleicht gar verbittert?«
»Die Frauen sind gefährlich, meine Arbeit ist mir
lieber. Und du solltest dich mit deinen Aufgaben anläßlich des Opet-Festes
befassen. Du wirst im ersten Drittel des Festzuges gehen und ein neues Gewand
aus Leinen mit gefältelten Ärmeln tragen. Denk daran, daß so etwas leicht
reißt. Du mußt dich geradehalten und darfst keine heftigen Bewegungen machen.«
»Das stellt mich aber auf eine harte Probe.«
»Wer von der Kraft Seths beseelt ist, schafft das
spielend.«
Kanaan und Syrisch-Palästina waren befriedet, Galiläa
und der Libanon unterworfen, die Beduinen und die Nubier besiegt, die Hethiter
hinter den Orontes zurückgeschlagen – Ägypten und Theben konnten sorglos
feiern. Im Norden wie im Süden hatte das mächtigste Land der Erde die bösen
Geister bezwungen, die es seiner Reichtümer berauben wollten. In acht
Regierungsjahren hatte Sethos sich als großer Pharao erwiesen, dem noch
künftige Generationen huldigen würden.
Es war durchgesickert, daß das »ewige Haus« des Sethos
im Tal der Könige weiträumiger und schöner werden würde als jedes andere zuvor.
Mehrere Baumeister waren in Karnak am Werk, und der Pharao überwachte
persönlich diese große Baustelle. Auch über den Tempel in Kurna, auf dem
westlichen Ufer, wurden Lobeshymnen gesungen. Dort sollte dem Ka des Sethos,
seiner geistigen Kraft, auf ewig ein Kult geweiht werden.
Mittlerweile gaben auch die Andersdenkenden zu, daß
der Herrscher recht getan hatte, sich nicht auf einen gewagten Krieg gegen die
Hethiter einzulassen und statt dessen die Kräfte des Landes zu bündeln auf die
Errichtung von steinernen Heiligtümern, die Schreine der göttlichen Gegenwart
darstellten. Dennoch war, wie Chenar den aufmerksam zuhörenden Würdenträgern
erklärte, dieser Aufschub nicht für den Handelsaustausch genutzt worden, dieses
einzige Mittel, um Feindschaften zu beseitigen.
Eine große Zahl Würdenträger erwartete mit Ungeduld
die Thronbesteigung des älteren Sohnes ihres Pharaos, denn er war ihnen
ähnlich. Sethos’ Unnahbarkeit und sein Hang zum Geheimnisvollen waren für so
manche, die auf ihr Amt als Berater pochten, ein Grund für Feindseligkeit. Mit
Chenar ließ sich leichter reden, er war zuvorkommender, liebenswürdiger und
wußte die Gunst der einen zu erwerben, ohne die anderen vor den Kopf zu stoßen,
und er versprach auch jedem, was er hören wollte. Für ihn wäre das Opet-Fest
eine weitere Gelegenheit, seinen Einfluß auszuweiten, indem er sich die
Freundschaft des
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