Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Erkundigungen abgelegt.
Dabei war gerade dieser ehemalige Seeräuber besonders eifrig, und er kannte die Strafen, die bei Ungehorsam drohten.
Ohne sich vorher den Bart zu schaben, kleidete Serramanna sich hastig an und lief zu Ameni. Die zwanzig aufs beste ausgebildeten Beamten, aus denen sich seine Verwaltungsmannschaft zusammensetzte, waren noch nicht an ihren Plätzen, doch der Oberste Schreiber und Sandalenträger des Pharaos ordnete bereits Papyrusrollen, nachdem er sich an Gerstensuppe, Feigen und gedörrtem Fisch gelabt hatte.
Obgleich er Unmengen aß, wurde Ameni nicht dicker.
«Bereitet dir irgend etwas Kopfzerbrechen, Serramanna?»
«Ein Bericht fehlt.»
«Ist das so besorgniserregend?»
«Bei diesem Kreter schon. Er ist für gewöhnlich übertrieben gewissenhaft.»
«Wohin hast du den geschickt?»
«Nach Mittelägypten, in die Provinz Bersheh. Genauer gesagt, in die Nähe der verlassenen Hauptstadt Echnatons.»
«Eine sehr abgelegene Gegend.»
«Du hast mich schließlich Gründlichkeit gelehrt.»
Ameni lächelte. Die beiden Männer waren nicht immer Freunde gewesen, aber seit ihrer Aussöhnung schätzten sie einander wirklich.
«Vielleicht hat er sich nur verspätet.»
«Dieser Kreter sollte seit mehr als einer Woche zurück sein.»
«Ehrlich gestanden erscheint mir sein Ausbleiben belanglos.»
«Meine innere Stimme gibt mir hingegen ein, daß die Sache sehr ernst ist.»
«Und weshalb sprichst du mit mir darüber? Du bist doch mit den nötigen Befugnissen ausgestattet, um dieses Geheimnis aufzuklären.»
«Weil da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, Ameni, ganz und gar nicht.»
«Erkläre dich deutlicher.»
«Der Magier ist verschwunden, Chenars Leichnam nicht auffindbar, kein Mensch weiß, wer dieses blonde Mädchen war und woher es kam… Das beunruhigt mich.»
«Ramses führt die Staatsgeschäfte und hat alles gut im Griff.»
«Aber soviel ich weiß, gibt es keinen Friedensvertrag, und die Hethiter haben bestimmt ihrem Wunsch, Ägypten zu zerstören, nicht abgeschworen.»
«Du glaubst also, daß ihr Spionagenetz nicht vollständig zerschlagen wurde.»
«Mir kommt das alles vor wie die Ruhe vor dem Sturm…
Und mein Gespür hat mich nur selten getrogen.»
«Was schlägst du vor?»
«Ich mache mich auf den Weg in die verfemte Stadt, denn ich möchte wissen, was aus dem Kreter geworden ist. Wache du bis zu meiner Rückkehr über den Pharao.»
Dolente, des Königs ältere Schwester, wurde von Zweifeln geplagt. Die hochgewachsene, dunkelhaarige Frau hatte wieder ihr untätiges Leben einer wohlhabenden Adligen aufgenommen, schwirrte von Festmahl zu Festmahl, von Empfang zu Empfang, von einer Geselligkeit zur nächsten. Sie wechselte ein paar nichtssagende Worte mit modebewußten, aber dümmlichen Schönen, während ihr unerträgliche alte Schranzen und junge Verführer, deren Geschwätz so hohl war wie ihr Kopf, den Hof machten.
Seit sie sich der Anbetung Atons, des alleinigen Gottes, verschrieben hatte, verfolgte Dolente wie besessen nur ein Ziel: Sie wollte der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen, sie endlich über Ägypten erstrahlen lassen, auf daß sie die falschen Götter und jene, die ihnen huldigten, vertreibe. Doch Dolente stieß nur auf verblendete Menschen, die sich glücklich priesen.
Der Gegenwart und Ratschläge Ofirs beraubt, glich sie einer Schiffbrüchigen im Sturm. Woche um Woche sank ihr der Mut immer mehr. Wie sollte sie sich einen Glauben bewahren, den nichts und niemand nährte? Dolente verlor das Vertrauen in die Zukunft.
Ihre Dienerin, dunkelhaarig wie sie selbst und mit blitzenden Augen, wechselte die Laken des Bettes und fegte das Gemach aus.
«Fühlst du dich nicht wohl, Prinzessin?»
«Wie könnte ich, wer wollte mich schon um mein Los beneiden?»
«Du besitzt schöne Kleider, ergehst dich in traumhaften Gärten, triffst wundervolle Männer… Also, ich beneide dich schon ein bißchen.»
«Bist du etwa unglücklich?»
«Aber nein! Ich habe einen guten Mann, zwei gesunde Kinder, und wir verdienen genug, um unser Auskommen zu finden. Außerdem wird mein Mann bald mit dem Bau unseres neuen Hauses fertig sein.»
Da wagte Dolente die Frage zu stellen, die sie umtrieb:
«Und denkst du zuweilen auch an Gott?»
«Gott ist überall, Prinzessin. Es genügt, den Göttern zu huldigen und sich ihrer Schöpfung zu erfreuen.»
Dolente sprach nicht weiter. Ofir hatte recht: man mußte die wahre Religion gewaltsam einführen und durfte nicht warten, bis
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