RAND DER ANGST (T-FLAC/PSI) (German Edition)
Ihr Vater hatte sie gewarnt vor dem, was passieren könnte, wenn sie gefunden würde. Sie hatte es kapiert. Junge, sie hatte es wahrhaftig kapiert. Aber Herrgott - sie vermisste zwischenmenschliche Kontakte, die Wechselwirkung zwischen zwei Menschen, das Geben und Nehmen von Vertrauen. Sie musste ständig auf der Hut sein. Sie konnte es sich nicht leisten, jemanden an sich heranzulassen. Seit fast einem Jahr hatte sie niemanden mehr berührt, oder war mit jemandem im Bett gewesen. Es fühlte sich an, als hätte sie ewig keinen physischen Kontakt mehr gehabt, mit Ausnahme eines unpersönlichen Händeschüttelns.
Sie fühlte sich ... unsichtbar.
Natürlich war sie dankbar und glücklich darüber, am Leben zu sein, aber die ständige Angst, das ständige Über-die- Schulter-Schauen, das ständige Wissen, dass sie in ihrer Wachsamkeit nie nachlassen durfte, begannen sie aufzureiben.
Und sie war einsam, verzweifelt einsam, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Einsamkeit war beinahe zu einer physischen Last geworden. Für eine normalerweise aufgeschlossene, gesellige Person war dies die Hölle. Als säße man auf unbestimmte Zeit in Einzelhaft.
Elf Monate Isolation. Sie war weiß Gott kein negativer Mensch, war sie nie gewesen. Ihr Leben war angefüllt gewesen mit schönen Kleidern, Partys und Einkaufstrips. Niemand hatte ihr jemals Grenzen gesetzt. Sie hatte ein Leben voller Privilegien und Vergnügungen gelebt, ohne sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen, oder wie sie sich fühlen würde, wenn dies alles nicht mehr existierte.
Dann hatte sich ihr Leben im letzten März mit einem Wimpernschlag verändert.
Sie hatte früher immer ewig gebraucht, um Entscheidungen zu treffen, ein lediglich amüsanter Charakterzug, wenn diese Entscheidung nur darum ging, welchen Designer man bevorzugte. Nicht so verdammt amüsant, wenn jede Entscheidung Leben oder Tod bedeuten konnte. Wenn die richtige Entscheidung möglicherweise im Bruchteil einer Sekunde gefällt werden musste. Allein der Gedanke, diesen Prozess noch einmal durchstehen zu müssen, ließ sie in nervösen Schweiß ausbrechen.
Dieses vergangene Jahr war ein harter Lernprozess für sie gewesen. Aber sie hatte gelernt, sich auf sich selbst zu verlassen. Gelernt, schnellere Lebensentscheidungen zu treffen. Gelernt... sie alleine.
Seit ihr nach San Francisco gezogen war, hatte sie sich beigebracht, wie man ein Scheckheft ausgeglichen führte, wie man kochte und seine Wäsche erledigte. Dinge, die andere Frauen für selbstverständlich erachteten, waren Meilensteine des Erfolges für sie. Sie war verdammt stolz darauf, was aus ihr geworden war.
Nur leider gab es niemanden, der ihre Kleinen Triumphe mit ihr teilte, dachte sie ironisch. »Ha! Vielleicht geht es darum beim Erwachsensein. Gute Entscheidungen
ohne
jeglichen Beifall zu treffen.«
Es war nun fast ein Jahr her, und die hatten sie nicht gefunden. Sie entschied sich, kein »noch« hinzuzufügen. Sie baute sich ein nettes kleines Geschäft auf. Sie lebte in einer schönen Stadt und war am Leben. Im Augenblick war das genug.
Eines Tages würde ihr Vater die »Alles klar«-Anzeige in der Sonntagsausgabe der Londoner 1 imes platzieren, und sie würde wissen, dass es vorbei wan Bis dahin würde sie lernen und wachsen und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden.
O maman
dachte Heather wehmütig.
Schau mich an: Ich bin unabhängig. Wer hätte das gedacht?
Sie lächelte. Zum Glück konnte sie sich auf ihre lebhafte Fantasie verlassen, um bei Laune zu bleiben. Diese Fantasie kam auch jetzt ins Spiel, als sie wieder das Prickeln spürte 一 irgendetwas, 一 eine unerwartete Welle der Aufregung, während sie sich der Haustür näherte. In der langen z-eit des Alleinseins hatte sie eine ziemlich blühende Vorstellungskraft entwickelt, die hauptsachlich auf den romantischen alten Filmen basierte, die sie oft anschaute, um den Überdruss ihrer Einsamkeit in den rruhen Morgenstunden zu durchbrechen.
Sie stellte sich vor, dass sie die Tür öffnen und einen gut aussehenden, harmlosen Mann auf ihrer Türschwelle finden würde. Irgendeinen normalen Kerl, der einen gewöhnlichen, geregelten Arbeitstag hätte. Einen netten Typ, der angenehme Freunde und eine liebevolle Familie haben und sie - natürlich -bis zum Wahnsinn lieben würde. Ein Mann, der ihr direkt in die Augen schauen würde, wenn er mit ihr sprach.
Ein integrer, rechtschaffener, ehrbarer Mann, grundsolide und zuverlässig.
Oder, und sie grinste, er
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