Rangun

und spannte rasch die Pferde aus. Aus dem Kutschkasten holte er Zaumzeug und einen weiten schwarzen Sari. Er warf ihr den Sari zu, dann sein Messer. »Schnell, zerschneiden Sie Ihr Kleid, damit Sie reiten können und streifen Sie den Sari über.« In knapp einer Minute hatte er ein Pferd gesattelt, und sie saß auf. Er sprang auf sein Pferd. »Los!« Er führte sie tief in den Palmenhain, ritt in kurzem Galopp über ein schimmerndes Reisfeld und dann in schwarzen Dschungel. »Ich denke, wir sind jetzt sicher, da sie hinter diesem dreckigen Naswral her sind«, sagte er, während er zum Trab überging. »Es macht nichts, wenn sie die Kutsche finden.«
    Sie streifte ungeduldig den Sarischleier beiseite. »Kannst du mir jetzt erzählen, was hier vorgeht?«
    »In der Tat. Meine Rolle ist einfach. Ich entschuldige mich mit allem Respekt, aber die Befehle meines Herren Ram heben die Ihren auf. Ich folgte Ihnen und schaute durch Bettenheims Fenster zu, falls Sie Hilfe brauchten. Als er sie packte, wollte ich ins Zimmer springen.« Er klopfte auf den Gewehrkolben auf seiner Hüfte. »In dem Moment wurde durch das andere Fenster mit einer Pistole geschossen. Bevor wieder gefeuert werden konnte, schoß ich die Lampe aus und rannte um die Ecke. Der Mörder floh bereits zu dem Ananasfeld hinter dem Haus. Er drehte sich um, um zu schießen, und ich sah Naswrals Narbe im Mondlicht. Sein Schuß ging daneben. Meiner wohl auch. Als ich Bettenheim auf Sie schießen hörte, brach ich die Verfolgung ab. Hätte Bettenheim beschlossen,
    Naswral zu verfolgen, wäre ich in ihr Kreuzfeuer gekommen.«
    »Und du sagst, das war einfach«, seufzte sie. »Was meinst du, woher Naswral wußte, daß ich heute hier sein würde?«
    »Eine bezahlte Zunge erzählt viel, Missy, aber bei Sonnenaufgang wird sie schweigen.«
    »Bettenheim denkt wahrscheinlich, wir wollten ihn umbringen«, stellte sie verdrossen fest.
    »Wahrscheinlich.«
    »Das ist nicht das Schlimmste, Masjid. Er hat den Beweis, daß ich dort war. Meine Schuhe. Ich habe ihm ein Geschenk gemacht.«
    »Ja, Missy.« Er lächelte wohlwollend. »Ein Geschenk.«

KAPITEL 17
Das Urteil
    Doch oft enwacht im Lärm des Haders
    ein unaussprechliches Sehnen nach dem Wissen
    um unser vergrabenes Leben,
    ein Durst, unser Feuer, unsere ganze Kraft zu geben, unsere wahre, ursprüngliche Bestimmung zu finden
    MATTHEW ARNOLD
    »Sastri Potaswamy.« Die Geschworenen, die hofften, daß der Tag mit den abschließenden Plädoyers beginnen würde, zuckten zusammen, als der Buchhalter in den Zeugenstand trat. Als er stockend die gräßliche Entdeckung der toten und verstümmelten Frauen auf der Star of Calcutta beschrieb, saßen sie entsetzt da. Die folgenden Aussagen der Hafenbeamten und des Polizeikommissars kostete Triton bis zur Neige aus.
    Leacock stellte dem Kommissar nur wenige Fragen, um sich zu vergewissern, daß der Mörder eher methodisch denn verrückt sei. Er war besonders an Seins Zustand interessiert. »Ihre tödlichen Verletzungen waren im Prinzip denen der Frau von der Star of Calcutta ähnlich. Der Stich in die Kehle drang von links nach rechts ein. Bedeutet das, daß der Mörder Rechtshänder war?«
    »Es ist wahrscheinlich.«
    »Und das Maß der körperlichen Mißhandlung?«
    »Miß Sein hatte mehr Quetschungen als die anderen Opfer. Mehrere Zähne wurden durch einen Hieb ausgeschlagen, mit dem ihr die Tamarinden in den Mund gestopft wurden. Nur unter ihren Fingernägeln wurden Blut und Haare gefunden.«
    »Haarfarbe?«
    »Schwarz.«
    Worauf wollte Leacock hinaus? überlegte Lysistrata, während sie sah, wie die Geschworenen Ram musterten. Warum legte er Wert darauf, daß Rams körperliche Merkmale genau auf Naswral paßten? Ihre Finger begannen auf ihrer Tasche zu trommeln.
    Kurz darauf trommelten sie noch schneller. Lysistrata, wenngleich nicht überrascht, Claus Bettenheim als nächsten Zeugen der Anklage zu sehen, war erbost über seine Aussage. Zum Glück war das Gericht - das nach Lysistratas und Harrys Aussagen noch etwas Mitleid mit Ram hatte - kaum weniger verärgert. Obwohl Claus schlagfertig war, wurde er unter Leacocks bohrenden Fragen so feindselig und unverschämt, daß selbst Leute erbost über ihn waren, die Einheimische mit Verachtung behandelten. Seine Hetze, die Triton zu unterbinden versuchte, war mit so vielen Gerüchten und Behauptungen über Rams angebliche kriminelle Verbindungen durchsetzt, daß Leacock jede dritte Minute aufsprang und Einspruch erhob. Der Richter warnte