Rangun
»Was meinen Sie?«
»Ich meine Ihre Füße, Miß.«
»Sandalen. Sie sind sehr bequem«, versicherte Lysistrata stur.
»Gewiß, aber sie passen zu dem Longyi-Rock einer Einheimischen, nicht zu diesem Leichentuch.«
»Lady Mary...«, begann Lysistrata ärgerlich.
»Wenn Sie weiter so schwere Kleidung in diesem Klima tragen, werden Sie sich alle Leiden unter der Sonne zuziehen. Und«, fügte die Engländerin grimmig hinzu, »Birma hat sie alle.«
»Dann werde ich nähen...«
»O nein, das wäre wirklich untragbar.«
Lysistrata erstarrte. »Meine Vermögenssituation mag offensichtlich sein, das bedeutet aber nicht, daß ich um Almosen bitte, besonders wenn sie mit Beleidigungen gegeben werden. Wenn meine Art mich zu kleiden ihrer Gesellschaft nicht paßt, muß ich eben darauf verzichten.«
Lady Mary klatschte in die Hände. »Bravo, mein Mädchen! Ich gestehe, daß ich mich geirrt habe. Mir war nicht klar, daß Sie so stolz auf Ihre eigene Gesellschaft sind. Ihr Auftreten läßt auf diese Eitelkeit nicht schließen.«
Lysistrata errötete, unfähig zu antworten.
»Sie haben eine großartige Figur, ein bemerkenswertes Gesicht und prächtiges Haar, aber Sie geben sich jede erdenkliche Mühe, das zu verstecken«, stellte Lady Mary kurz und bündig fest. »O ja, ich habe einen Blick für gutes Aussehen.« Ihre Stimme wurde bei Lysistratas verblüfftem Gesichtsausdruck weicher. »Armes Mädchen, Sie sehen Ihre Möglichkeiten ja nicht einmal. Wie soll das denn ein anderer können?« Sie ergriff Lysistratas Schultern. »Sie sollten wirklich versuchen, sich ein wenig zu mögen. Sie wären angenehm überrascht.«
»Warum geben Sie sich soviel Mühe mit mir?«
Die Engländerin lachte. »Vielleicht, weil ich von jemandem fasziniert bin, der mich beim Pokern schlagen könnte.«
»Aber Sie...«
»Evie hatte so getan, als hätte ich nie davon gehört.« Sie begann, seidenbezogene Schuhkartons zu durchsuchen. »Sie mag Sie nicht. Das ist ungewöhnlich für Evie. Sie befaßt sich selten damit, jemand nicht zu mögen.«
»Vor allem ein Nichts«, erwiderte Lysistrata trocken.
»Wissen Sie, warum sie Sie nicht mag?«
Lysistrata sagte nichts.
»Ich sag's Ihnen. Evie duldet keine Rivalinnen.«
Lysistrata war verblüfft. »Wie könnte ich eine Rivalin sein?«
»Jetzt natürlich nicht. Sie meint vielleicht sogar, Sie trügen diese Witwenkleidung, weil Sie um einen Mann trauern. Auf ihre Art beginnt sie möglicherweise, Sie zu bemitleiden.«
»Jetzt sind Sie sehr offen, Lady Mary«, erwiderte Lysistrata.
Lady Mary grinste boshaft. »Welches Kleid möchten Sie zuerst anprobieren, Lysistrata?«
»Das Pfirsischfarbene.«
»Miß Herriott.«
Lysistrata blickte von den Melonen auf, die sie gerade abwog, und blinzelte in die blendende Sonne. Evelyn Chilton stieß die Tür ihres grauen Landauers auf. »Begleiten Sie mich zu einer Fahrt? Ich hatte gehofft, wir würden uns Wiedersehen.«
»Ich bin noch nicht mit dem Einkäufen fertig«, erwiderte Lysistrata gleichmütig und wandte sich wieder den Melonen zu.
Evelyn musterte Lysistratas blaues Baumwollkleid und blickte sich dann auf dem Marktplatz an der China Street um. »Ich nehme an, Sie kommen oft hierher.«
»Mein Haushalt ißt gerne regelmäßig.«
»Miß Herriott«, sagte Evelyn freundlich, »Sie haben vielleicht nicht bemerkt, daß weiße Frauen die Märkte in Birma nicht besuchen.«
Lysistrata legte eine Melone in ihren Einkaufskorb. »Dann bringt sie ihr Snobismus um ein großes Vergnügen.«
Evelyn lachte. »Da haben Sie wohl recht. Ich werde Sie begleiten. Durch die Hitze habe ich Appetit auf eine Mango bekommen.« Anmutig stieg sie aus dem Landauer.
Lysistrata betrachtete sie kühl. »Sie sollten wissen, Mrs. Chilton, daß Ihre Gesellschaft unwillkommen ist.«
»Aber wir sollten reden, meinen Sie nicht?«
Lysistrata ging zu einer Rafiabastmatte, auf der Yams gestapelt waren. »Worüber hätten wir zu reden?«
»Über unser gemeinsames Interesse an Richard Harley.«
Lysistrata lachte humorlos. »Ihren Hecken-Schwerenöter? Sie scherzen. Was kümmert Sie das eigentlich? Wenn Sie ihn liebten, würden Sie nicht weiter mit Nigel Chilton leben.«
Evelyn hob eine Augenbraue. »Sie sind direkt, selbst für eine Amerikanerin. In Ihrer Position könnten Sie sich zumindest bemühen, höflich zu sein.«
Lysistrata legte mehrere Yams in ihren Korb. »Und wie ist meine Position?«
»Schwach.« Evelyn öffnete ihr Parasol. »Dr. Lighter neigt dazu, spießig zu sein.
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