Rangun
dachte sie. Tatsache ist, ich würde Mr. Harley gern eine Feige in einer Otter anbieten. »Ja, natürlich. Ich kümmere mich darum«, erwiderte sie süß.
Das Abendessen, wenngleich einfach, war gut zubereitet, da Lysistrata von Ma Saw etwas Kochen gelernt hatte. Dr. Herriott hatte Weine bei einem gerissenen Franzosen erstanden. Obwohl der Jahrgang nicht großartig war, war er besser als der Dr. Lighters. Im Kerzenlicht fiel nicht auf, daß Mobiliar und Kristall fehlten. Lysistrata war überhaupt nicht stolz, wenn sie an die geschmacklosen Speisen dachte, die sie den seltenen Gästen ihres Vaters in Boston angedreht hatte. Obwohl sie keine Zeit zum Umziehen hatte, glättete sie eilig ihr Haar. Ma Saw bestand darauf, winzige Orchideen in ihren Knoten zu flechten. »Nur Männer tragen keine Blumen, Mr. Harley wird es seltsam finden, Sie ohne sie zu sehen.«
Ich sehe heute abend recht hübsch aus, bestimmt nicht wie eine Frau, die ein Mann ungern küßt, dachte Lysistrata mit wachsender Zuversicht, als sie ihr Spiegelbild betrachtete.
Beim Essen musterte sie Harley über den Rand ihres Weinglases, während er und Herriott über die Fahrten der Rani sprachen. Anders als ihres Vaters offenes, ehrliches, gutmütig-derbes, amerikanisches Gesicht, waren die verschlagenen Gesichtszüge Harley die eines Borgia-Höflings, der in Hinterzimmern und Schlafräumen intrigierte. Während seine leichten Schlitzaugen und die volle, geschwungene Unterlippe sinnlich waren, hatte er die scharfen Wangenknochen und den eckigen Kiefer eines Rajput. Seine teefarbenen Iris wirkten unter den dicken Wimpern fast schwarz. Er war noch nicht Mitte zwanzig, wirkte aber älter.
Er mußte bemerkt haben, daß sie ihn musterte als seziere sie einen Käfer, wirkte aber nicht verlegen, sondern geduldig. Als er sie im Labyrinth geküßt hatte, hatte sie mit einer Leidenschaft reagiert, die Frank Wyatt nie erweckt hatte, die ihre Vorstellungskraft überschritt. Ohne es zu wollen, reagierte sie noch immer auf ihn: ein möglicher Verräter, ein skrupelloser Erpresser, ein Ehebrecher und Gott weiß, was noch. Warum? Nach der kurzen Erfahrung, die sie mit ihm gemacht hatte, schien er seinen unangenehmen Ruf wirklich zu verdienen.
»Wie finden Sie Rangun, Miß Herriott?«
»Voller Überraschungen, Mr. Harley.«
»Erfreuliche, hoffe ich.«
»Die meisten. Manche sind unangenehm wie Ungeziefer.« Sie beseitigte mit ihrer Serviette eine große Ameise, die auf den Zuckernapf zustrebte und ergriff dann ihr Weinglas.
»Ah ja«, stimmte er ernst zu. »Sie sind hartnäckig. Wirken am aufdringlichsten, wenn man zu Bett gehen will.«
Sie verschluckte sich. Dr. Herriott klopfte ihr zärtlich auf den Rücken. »Meine Tochter ist mit Wein nicht so vertraut wie ich, Mr. Harley.«
»Ein sehr angenehmer Jahrgang, Sir«, lobte Harley. »Sie können sich glücklich schätzen, daß Miß Herriott eine vernünftige junge Frau ist. Zu intelligent, um nicht zu bemerken... daß Rausch Gefahren birgt.«
»Und Freuden«, bemerkte der Doktor, der den grimmigen Blick nicht sah, den Lysistrata ihrem höflichen Peiniger zuwarf.
Sie wechselte rasch das Thema. »Papa, vielleicht möchte Mr. Harley Dessert.«
»Etwas Süßes?« Harley schaute sie an. »Danke, Miß Herriott, aber ich möchte nicht, daß Sie sich soviel Mühe machen.«
»Ma Saw hat Dessert zubereitet, Mr. Harley. Ich hab' mehr Mühe mit den Gartenaffen gehabt als ich ihnen Bananen zuwarf.« Obwohl Harleys folgende Konversation mit ihr höflich war, antwortete sie kurz und mit steinernem Gesichtsausdruck. Dr. Herriott, der diese gefährlichen Anzeichen schließlich bemerkte, versuchte Unerfreuliches abzuwenden. »Lysistrata, warum zeigst du und San-hla Mr. Harley nicht den Tanz, den du gestern gelernt hast?« Er wandte sich an Harley. »Das müssen Sie wirklich sehen. San-hla ist ein zauberhaftes Kind. Sie hat Lysistrata gelehrt ...«
»Heute abend nicht, Papa«, fiel Lysistrata rasch ein. »Ich hatte einen langen Tag.« Sie blickte Harley an. »Mr. Harley wird das sicher verstehen. Ich denke, er ist durch seine vielfältigen Interessen Tag und Nacht beschäftigt.«
Harley lächelte nicht. »Das ist richtig, Miß Herriott. Ich muß mich ohnehin darum kümmern, daß mein Buchhalter eine Fracht überprüft. Doktor, ich hoffe, Sie beide werden mir verzeihen.«
»Natürlich.« Herriott blickte seine Tochter fragend an und sagte dann fröhlich: »Lysistrata und ich freuen uns darauf, Sie am Sonntag zu
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