Rangun
Aus Angst, Wili habe sich auf Claudius gestürzt, zündete sie die Lampe an. Dann sank sie mit ersticktem Schrei zurück. Eine Kobra hatte sich, den Rachen weit aufgerissen, um Wili geschlungen. Die Köpfe beider Tiere waren blutverschmiert. Lysistrata sprang mit einem Schrei aus dem Bett. »Masjid! Masjid! Hilfe!« Durch ihre Stimme wurde die Kobra abgelenkt. Wili nutzte seine Chance. Seine scharfen Zähne zerrissen den Hals der Kobra. Er schüttelte den Kadaver noch immer, als Masjid in den Raum stürmte. Der Pathan erstarrte, die Pistole in der Hand, als der Mungo sein Opfer ins Maul nahm. »Kannst du das nicht beenden?« fragte Lysistrata, der übel war.
»Ich müßte den Mungo töten, Mem«, erwiderte Masjid ruhig.
»Nein... er ha t mir vielleicht das Leben gerettet.«Ihre Lippen zitterten, als ihr Blick auf einen Haufen heller Federn fiel. »Die Kobra kroch zuerst zu Claudius. Sie muß durch die zerbrochene Jalousie im Verandaladen gekommen sein.«
»Die habe ich aber repariert, Mem.«
»Dann bleibt nur die Tür. Ist das nicht ungewöhnlich?«
»Sehr.«
Sie schwieg einen Moment. »Masjid, hast du deshalb Wili hergebracht, nachdem ich die Petitionen verteilt habe?«
Er zuckte die Achseln. »Nager sind in Birma verbreitet; Kobras auch.«
»Ich verstehe.« Sie schaute zu, wie Wili, die Ohren flach an den Kopf gelegt, seine Beute aus dem Raum zerrte. Lysistrata ging zu dem umgekippten Käfig, um den winzigen Leichnam herauszuziehen. Sein Flaum füllte kaum ihre Hand. »O Masjid«, flüsterte sie, »er war so arglos. Er konnte nicht einmal davonfliegen.«
»Kobras haben seltsame Kräfte, Mem. Der Vogel wäre vielleicht nicht einmal weggeflogen, wenn er es gekonnt hätte.«
Er schwieg kurz. »Wir müssen aufpassen. Beim nächsten Mal müssen wir gegen eine größere Gefahr kämpfen.«
»Du glaubst, es gibt ein nächstes Mal?«
»Ganz bestimmt, Mem. Petitionen sind nicht so harmlos wie Sittiche.«
Lysistrata suchte ungeduldig ihren Weg über schmale Planken zwischen vertäuten Sampans und Reisbooten. Kurz vor Sonnenuntergang war sie nicht allzu erpicht darauf, in einem schwankenden Boot bei Laternenlicht einen Kaiserschnitt zu machen. Als sie ihr Ziel erreichte, stellte sie fest, daß die Patientin ihr erstes Kind ebenfalls durch einen ungeschickten Kaiserschnitt bekommen hatte. Nachdem sie die Frau gereinigt und chloroformiert hatte, machte sie einen schnellen Schnitt. Minuten später kam zur Freude seines Vaters, eines Fischers, ein kräftiger, rotgesichtiger Junge zur Welt.
Sie verließ die Fischerdschunke nach Sonnenuntergang, und die Lichter Ranguns drangen durch den Flußnebel. Boote scheuerten knarrend aneinander, und nur wenige Lichter schienen trüb durch die Öffnungen am Heck. Die Wasserbewohner gingen üblicherweise kurz nach Sonnenuntergang zu Bett. Lysistrata, die vorsichtig auf einer Planke balancierte, keuchte erstickt, als diese sich plötzlich unter einem schweren Gewicht bog. Eine Gestalt mit Palmenhut fragte guttural: »Du Krankenschwester?«
»Ja.« Sie versuchte, nicht erschreckt zu klingen.
Mit Masjid konnte sie heute abend nicht rechnen. Er lag mit akutem Magengeschwür zu Bett - das zweifellos von seiner Überwachung herrührte.
»Mein Sohn, Fuß verletzt. Du kommen sehen.« Es war mehr ein Befehl als eine Bitte, aber Lysistrata hatte ihr Urteil über die Birmanen revidiert. Wenngleich sie nur selten ärztliche Ratschläge befolgten, nahmen sie Hilfe freudig an, luden stets zum Essen ein und verkündeten offen, daß sie ein wenig verrückt, aber eine sehr nette Dame sei.
»Ja, natürlich. Wo ist er?« Sein Zeigefinger richtete sich auf eine Dschunke, die am Ende des Kais festgemacht war. Sie seufzte. Es war ein langer Weg, aber die Verletzung des Jungen konnte sich leicht entzünden, besonders so nahe am Wasser.
Der Mann ging mit der Sicherheit einer Fledermaus über den Steg. Sie folgte ihm so schnell sie konnte. Auf dem Kai wartete er ungeduldig bis sie festen Boden unter den Füßen hatte und lief dann so schnell auf die Dschunke zu, daß sie ihren Rock raffen und hinter ihm herrennen mußte.
Der Birmane trat mit einem angedeuteten Lächeln beiseite, um sie in die Kabine seiner baufälligen Dschunke treten zu lassen. Bis auf eine Palmwedelmatratze und schmutziges Geschirr war sie leer. Ihr Mund wurde trocken. Sie wirbelte herum, hatte ihre schwere Instrumententasche gegen seinen Kopf gerichtet. Mit hämischem Grinsen blockte er sie ab, entriß sie ihr und warf sie auf
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