Rangun
Anthony lachte. »Ich würde Ihnen wohl weniger trauen, wenn Sie eine andere Meinung verträten.« Während er einen dicken Brief aus einer Ledermappe zog, wurde seine Stimme ernst. »Dies ist der Vorschlag, den wir Chang Yin machen wollen. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, wieviel Leben und Vermögen von Ihnen und Mr. Sings Fähigkeiten abhängen, daß dies nur unter seine Augen gelangt.« Er lehnte sich zurück. »Wie lange, glauben Sie, werden die Verhandlungen dauern?«
»Schwer zu sagen. Bestenfalls Monate. Vielleicht Jahre.«
Der Engländer seufzte. »Ich bedaure, Prasad wiederholen zu müssen, aber Richard, Sie sind wahnsinnig vage.«
»Das ist sicher nicht schlimmer, als unkorrekt zu sein.«
Sir Anthony grunzte philosophisch. »Ich werde die Einstellung der Asiaten wohl nie verstehen.«
Wenn ihr ein paar tausend Jahre länger zivilisiert seid, versteht ihr es besser, dachte Harley, denn was ich von euch fordere ist Zeit. Laut sagte er: »Die Straße zum christlichen Himmel ist kurz verglichen mit der des Buddhisten. Deshalb muß ein Buddhist sich weniger beeilen, um zu erreichen, was er will.«
»Sicher ein Vorteil, aber einer, der wenig Fortschritt schafft.«
»Das hängt davon ab, wessen Fortschritt es ist«, entgegnete Harley. »Dazu kann achtloser Fortschritt schlimmer als keiner sein.«
Sir Anthony hob eine Augenbraue. »Da spricht aber nicht Ihr Vater.«
»Mein Vater war leidenschaftlich progressiv. Ich bin eher konservativ.« Harley grinste. »Sie werden bemerken, daß ich bei diesem Wagnis meinen Hals nicht riskiere.«
»Quatsch!« schalt Sir Anthony. »Ich bedauere den Mann, der Ihren Mut öffentlich bezweifelt.«
»Der Naga, der den meines Vaters zuletzt bezweifelte, sammelt noch immer Köpfe im oberen Arkansas. Es macht sich nicht bezahlt, zu großes Vertrauen zu haben.«
»Ja«, Sir Anthony befingerte abwesend seine Nase, »das ist ein Pech.« Dann sagte er: »Richard, das geht mich natürlich nichts an, aber... stehen Sie und Lysistrata Herriott in irgendeiner Weise in Verbindung? Ich meine, sie hat Ihretwegen eine ganze Menge Schwierigkeiten bekommen.«
»Sie meinen, sie hat meinetwegen eine Menge Schwierigkeiten verursacht, aus einer idealistischen Laune heraus, wie ich denke. Wahrscheinlich kennen Sie und Lady Mary sie besser als ich, aber sie wirkt impulsiv und leicht gelangweilt. Jetzt hat sie eine neue Zerstreuung. Wahrscheinlich hätte sie sich auch auf einen kranken Kuli gestürzt. Am Ende der Regenzeit wird sie nicht mehr an eine Krankenhausreform denken und Sie bitten, die Dalhousie Gardens neu zu bepflanzen.«
Der Engländer wirkte erleichtert. »Nun, ich bin froh, daß sie nicht Ihre spezielle Freundin ist. Ich fürchte, ihre Langeweile kann sie in Schwierigkeiten bringen.« Er erhob sich und legte den Brief auf den Tisch. »Ich hoffe, Sie kümmern sich so bald wie möglich darum.«
»Natürlich, Sir Anthony. Bevor Sie den Regierungssitz erreichen, ist er unterwegs.«
Sir Anthony schüttelte ihm die Hand. »Danke, Richard, im Namen Englands als auch in meinem.«
»Ich bin Ihnen gern zu Diensten, Sir.«
Nachdem Sir Anthony gegangen war, öffnete Harley den Brief und las ihn zweimal. Er ließ den Umschlag in einen Aschenbecher fallen, steckte sich eine Zigarre an, hielt sie an den Umschlag und fütterte die Glut Blatt für Blatt mit den Seiten des Briefes.
KAPITEL 6
Die Reformerin
Licht bracht's in meine Verzweiflung, war's ein Traum auch nur,
als ich wähnte, ein Krieg entflamme, das Recht zu verteidigen,
und eiserne Tyrannei würd' sich beugen, gar weichen, Mannhaftigkeit in altem Glanze erstrahlen, nicht Mammon der Gott Britannias sein
ALFRED, LORD TENNYSON
»Hat Lysistrata Shwe Dagon gesehen?« fragte Harley Harry, als sie in der letzten Oktoberwoche durch die Cantonment Gardens ritten. Die Monsune waren nach China und zum Pazifik gezogen und hatten die Cholera mitgenommen. Sie ließen Birma mit prallen Knospen und trillernden Vögeln zurück.
»Nun, da sie mit Bazaren beschäftigt ist und kein großes Interesse an Religionen hat, wird sie das wohl nicht gesehen haben. Sie hatte wenig Zeit«, sagte Harry. »Sie hilft ihrem Vater im Royal.« Er brachte sein Pferd in leichten Trab. »Meinen Sie, ich sollte sie dorthin führen?«
»Warum nicht?«
»Nun ja, Shwe Dagon ist von außen beeindruckend, aber drinnen...« Er verzog das Gesicht. »Soviel menschlicher Abfall, daß sich einem der Magen umdreht, vor allem einer Frau. Auch wenn sie Krankenschwester
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