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Raphael

Raphael

Titel: Raphael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathilda Grace
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Man kommt, bleibt einen kurzen Moment und geht dann wieder, dieses Mal für immer. Solange du nicht zurückblickst oder gar ein zweites Mal zurückkehrst, kann man dir nicht vorwerfen, Kontakt zu haben.“
    „Raphael würde mich töten.“
    Benedict nickt erneut. „Das würde er. Aber es gibt da ein Sprichwort bei den Sterblichen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Äußerst praktisch, wenn du mich fragst, junger Caine.“
    Der Vampirführer von New York City gibt mir einen Freifahrtschein? Es ist kaum zu glauben und beschert mir eine dicke Gänsehaut. Irgendetwas ist hier im Busch. Obwohl er lächelt, bin ich sicher, dass Benedict Kincade sich jedes seiner Worte sehr genau überlegt hat, bevor er mich ansprach. Dieser Vampir ist gefährlich, und ich bin mehr als froh, als Raphael plötzlich in meinem Blickfeld auftaucht.
     
     

 
     
    8
     
     
    Die U-Bahn ist menschenleer, als ich bei meiner alten Station aussteige und mich auf den Weg zu Dad mache. Viel Zeit habe ich nicht. Raphael ist kein Dummkopf. Es war schon schwer genug, ihm glaubhaft zu machen, dass ich den Abend einfach für mich sein will.
    Ja, ich weiß, originell war meine Ausrede nicht, aber allein hätte er mich niemals aus der Wohnung gelassen. Es ist erstaunlich genug, dass ich es überhaupt geschafft habe, über die Feuerleiter vor meinem Fenster aufs Dach zu klettern und ihm zu entwischen.
    Da war es elf Uhr. Jetzt ist es Mitternacht und wie ich Raphael kenne, hat er längst nachgesehen und weiß, dass ich abgehauen bin. Auch wenn er nicht weiß, wohin ich will, es wird nicht lange dauern, bis er dahinterkommt. Wie gesagt, er ist kein Dummkopf. Aber es gibt für mich keine Alternative mehr. Ich habe zwei Wochen mit mir gerungen. Ich möchte meinen Vater wenigstens noch ein Mal sehen, auch wenn Raphael mir dafür die Hölle heiß machen wird. Manche Dinge sind es wert, für sie Prügel zu beziehen.
    Da ist es. Meine Schritte werden langsamer, denn auf der anderen Straßenseite steht das Haus, in welchem ich aufgewachsen bin. Ich bleibe stehen. Es ist ruhig in der alten Straße. Kein Wunder, wenn ich bedenke wie spät es ist. Hier leben einfache Leute, denen Nachbarschaft noch viel bedeutet, die gegenseitig auf ihre Kinder aufpassen, wenn sie auf der Straße und auf den Gehwegen spielen. Queens ist nicht so schlimm, wie immer behauptet wird, zumindest nicht jede Ecke.
    Unser Haus sieht auf den ersten Blick so aus, wie ich es in Erinnerung habe, doch bei näherem Hinsehen wird schnell deutlich, dass nicht nur ich älter geworden bin. Mein Vater müsste dringend streichen. Die Außenfarbe über der Garage und auf der gesamten linken Seite des Obergeschosses, wo früher mein Kinderzimmer war, ist abgeblättert. Die Regenrinne hängt schief und das Holz der einen Treppenstufe ist an der rechte Ecke gebrochen. Kleinigkeiten, die ich in wenigen Tagen für ihn erledigen könnte. Aber das ist ein Wunschtraum.
    Jetzt bin ich hier und was nun? Soll ich hingehen und klopfen? Im Wohnzimmer brennt Licht, er ist wach, aber es ist ein Unterschied zwischen, sich etwas vorzunehmen und es dann auch tun. Ich kann doch nicht einfach an die Tür klopfen. Nach den Bildern aus der U-Bahn, hält Dad mich bestimmt für tot. Was soll ich ihm sagen? Hallo, da bin ich? Bei meinem Glück hat er einen Herzinfarkt und fällt mir tot vor die Füße. Keine gute Idee. Scheiße, wieso ist das auf einmal nur so schwer?
    Plötzlich geht die Tür auf und Dad tritt auf die kleine Veranda, vor dem Haus. Er hat eine volle Mülltüte in der Hand, die er kurz darauf in die an der Garage stehenden Tonne stopft, bevor er kehrtmacht, um wieder im Haus zu verschwinden. Jetzt oder nie. Ich kriege allerdings weder ein Wort heraus, noch schaffe ich es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und zu ihm hinüber zu gehen. Stattdessen sehe ich schweigend zu, wie Dad zurückgeht, um an der Tür innezuhalten und sich umzudrehen.
    Es ist das allererste Mal, dass ich meine verbesserten Sinne als Vampir verfluche, denn Dad ist alt geworden. Mein Vater hat tiefe Ringe unter den Augen und Falten, die im letzten Jahr an Weihnachten noch nicht da waren. Und sein Haar war eindeutig weniger grau. Seine blauen Augen, die er mir vererbt hat, schweifen müde die Straße entlang, so als hoffte er darauf, in der Ferne jemand zu entdecken. Ob er auf mich wartet? Wohl kaum. Nur ein weiterer Wunschtraum.
    „Du fehlst mir, Dad“, flüstere ich in die Nacht hinaus, dann mache ich kehrt, um zu Raphael

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