Raphael
der Jugend“, erklärt er und schaut sich im Saal um. „Ich schätze, ich muss mich bei dir entschuldigen, junger Caine. Es ist niemand in deinem Alter anwesend, mit dem du über moderne Dinge sprechen könntest, die euch junge Vampire wohl eher zusagen. Daran habe ich nicht gedacht, muss ich gestehen. Verzeih einem alten Mann.“
Von wegen. Wahrscheinlich war es Absicht, um mich schneller in die Finger zu bekommen, aber das kann ich ihm schlecht an den Kopf werfen. Und was soll ich jetzt sagen? Irgendeine Floskel. „Äh ... kein Problem.“
Kincade lacht leise. „Gib ruhig zu, du langweilst dich.“
Ich zucke mit den Schultern, was ihm Antwort genug ist, denn er nickt mit einem verständnisvollen Lächeln. Hätten Raphael und Setjan mich nicht eindringlich vor ihm gewarnt, würde ich Kincade für einen netten Typen halten, aber so macht mich seine ganze Art nur noch misstrauischer, als ich es ohnehin schon bin.
„Lässt du mich an deinen Erinnerungen von zuvor teilhaben?“
Das ist zwar eine Einladung, aber da sie weder darauf abzielt, mich aus diesem Saal zu locken, noch mir etwas anzubieten, schätze ich, dass ich die Frage beantworten kann, ohne deswegen Probleme zu bekommen.
„Ich habe mich an die Nacht erinnert, in der ich zum Vampir wurde.“ Mit der Wahrheit kann man eigentlich am wenigsten falsch machen. Außerdem ist das Thema harmlos. Wer weiß, wie viele solcher Geschichten er in den vergangenen Jahren und Jahrhunderten von seinen Betthüpfern gehört hat.
Kincades fragender Blick weicht einem neugierigen. „Es erschien mir keine allzu schmerzhafte Erinnerung zu sein, deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.“
„Das war es nicht“, gebe ich zu und runzle die Stirn, als ich Raphaels Blick auffange. Er scheint abzuschätzen, ob er hier gebraucht wird oder nicht. Ich schüttle kaum merklich mit dem Kopf und sehe wieder zu Kincade. „Ich habe Raphael in jener Nacht nicht verstanden. Wie er über die Sterblichen, wie er sie nannte, dachte. Er saß mit mir in dieser U-Bahn, tötete sieben Menschen, um mich zu jagen und wenig später mit mir über das Leben an sich zu philosophieren. Ich hielt ihn für verrückt.“
Kincade lächelt. „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“
Die Frage zielt eindeutig in eine verbotene Richtung. „Kann man Raphael mögen?“, weiche ich plump aus.
„Nun, das musst du selbst entscheiden, junger Caine“, meint Kincade und lässt seinen Blick durch den großen Raum schweifen. „Ich kenne Raphael nicht sehr gut, ich glaube, außer Setjan tut das kein Vampir. Andererseits denke ich, dass auch er eines Tages jemanden findet, den er lieben kann. Vielleicht hat er das bereits.“
Das reicht. Bis hierher, nicht weiter. Ganz egal worauf Kincade abzielt, es gefällt mir nicht. Das flaue Gefühl im Magen bekräftigt mich in meiner Abneigung. „Nicht in mir“, wehre ich ab und trete hinter dem Vorhang hervor, um Raphaels Blick zu suchen. Dieses Mal nicke ich, als er mich fragend anschaut.
Kincades nächste Worte halten mich aber davon ab, geradewegs die Flucht zu ergreifen. Was soll das heißen, er wäre keine Bedrohung für mich? Ich sehe ihn irritiert an und Kincade lächelt amüsiert.
„Ich bin alt, aber kein Dummkopf, Caine McAllister aus Queens. Mir ist durchaus bewusst, dass Setjan heute nur aus einem einzigen Grund hier ist, nämlich, um dich vor mir zu schützen. Was unnötig ist, denn ich habe aus meinen Fehlern gelernt.“
Kincades Blick wandert zu Raphael, der uns erreicht hat und sich neben mich stellt. Seine Körperhaltung ist auf Abwehr eingestellt, sogar meine Nackenhaare stellen sich davon auf, dabei bin ich gar nicht gemeint.
„Eine Möglichkeit, die du zumindest kurz in Betracht ziehen solltest, Raphael.“
Raphaels Handy beginnt zu klingeln, was Kincade an weiteren Worten hindert. „Verzeihung. Dieser Anruf ist wichtig“, erklärt er mit einem verärgertem Blick auf das Display.
Kincade deutet auf die Tür. „Direkt gegenüber findest du meine Bibliothek, wie du weißt, und somit genügend Ruhe, um ein Gespräch zu führen.“ Raphael sieht den alten Vampir schweigend an, bis der entrüstet schnaubt. „Willst du mich in meinem Haus beleidigen? Dein Junge wird unversehrt hier stehen, sobald du zurückkehrst.“
Raphael sagt nichts, sondern sieht mich an. Fragend. Abschätzend. Er will wissen, ob ich klarkomme, und ich werde das untrügliche Gefühl nicht los, dass er es, falls ich verneine, darauf anlegen wird, Kincade zu beleidigen und
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