Raphael
zurückzukehren. Es tut weh, aber es ist richtig so. Die Vampire sind jetzt mein Leben, in dem der Menschen ist für mich kein Platz mehr.
„Caine?“
Ich weiß nicht, was furchtbarer ist. Die Hoffnung in seiner Stimme zu hören, oder die tiefe Verbitterung, die gleichzeitig in ihr mitschwingt. Dad ist sich absolut nicht sicher, ob er träumt oder ob ich wirklich da bin. Langsam drehe ich mich zurück. Dieses Mal gehorchen mir meine Beine, als ich einen Schritt in seine Richtung mache, und mit jedem weiteren Meter, den ich näher komme, weiten sich seine Augen, bis ich vor ihm stehe. Er mustert mich mit einem fassungslosen Blick.
„Sie sagten, du wärst tot. Die Polizei und die Presse … das Gerede über das Massaker in der U-Bahn“, murmelt er und streckt die Hand aus, um mir über die Wange zu streichen. Dann lächelt er. „Du bist nicht tot.“
„Doch, das bin ich.“ Ich kann ihn nicht anlügen. „Nur nicht so, wie alle glauben.“
Dad begreift sofort. Ich muss ihm nicht erklären, was mit mir passiert ist. Immerhin weiß er, wie verrückt ich mein Leben lang nach Vampiren, Werwölfen und allem Fantastischen gewesen bin.
„Aber das ist unmöglich. Es gibt keine ...“
Er stockt und ich muss unwillkürlich leise lachen, was ihn einen Schritt zurückweichen lässt, weil er jetzt meine spitzen Eckzähne sehen kann. „Vampire? Das dachte ich vor drei Monaten auch noch.“ Ich tippe gegen einen der beiden Zähne. „Die sind echt, echter geht’s nicht.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Der Blick meines Vaters ist eine Mischung zwischen Unglaube, Faszination und Abscheu. Ich kann ihn sehr gut verstehen, aber ich denke, dass wir das Thema nicht weiter vertiefen sollten. Dad weiß ohnehin schon zuviel, und ich will nicht, dass es ihm am Ende genauso geht wie Chris. Er soll weiterleben und in Frieden alt werden.
„Du darfst niemand erzählen, dass ich hier war, Dad. Ich muss offiziell als vermisst oder tot gelten, versprich mir das.“ Statt einer Antwort, nickt er nur, und auf Dads Wort war schon immer Verlass. „Es tut mir leid, dass ich so selten da war.“
Er ist überrascht von meinem Themenwechsel, aber dann lächelt er verständnisvoll. „Kinder müssen aus dem Haus, sobald sie erwachsen sind. Das ist der Lauf der Dinge. Ich habe dir das nie vorgehalten, Junge.“ Er sieht mich fragend an. „Du wirst mir nicht mehr sagen, nicht wahr?“
„Ich darf nicht“, bleibe ich bei der Wahrheit.
„Wirst du wiederkommen?“
„Nein.“ Es tut weh, die Enttäuschung in seinen Augen zu sehen, aber was soll ich machen? Lügen? „Ich dürfte nicht einmal hier sein. Es ist verboten. Aber ich musste kommen, wenigstens noch ein Mal.“
Mein Vater seufzt leise und reibt sich über die Augen. „Verstehe.“ Nein, tut er nicht. Wie sollte er auch? Aber ich sage nichts dazu, denn plötzlich schaut er mich fast schon flehend an. „Weißt du, wo Chris ist? Ich habe seit mehr als zwei Wochen nichts von ihm gehört.“
Der Stoß in mein kaltes, untotes Herz könnte nicht schmerzhafter sein. Ich muss es ihm erklären, aber ich kann nicht. Wie soll ich Dad sagen, dass er nach Mum jetzt auch beide Kinder verloren hat? Dass ich am Tod von Chris indirekt sogar beteiligt war. Es würde ihm das Herz brechen. Das kann ich ihm nicht antun. Und mir selbst schon gar nicht. Was, wenn er mich dann hasst? Ich kann das zwischen uns nicht so enden lassen, auch wenn es mich zu einem Feigling macht.
Plötzlich läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Da ist dieses Gefühl. Jemand ist ganz in der Nähe, ein anderer Vampir. Und es ist nicht Raphael. Scheiße, ich habe sein Revier verlassen. Wieso fällt mir das erst ein, wenn es zu spät ist? Warum habe ich nicht früher daran gedacht?
„Ich muss sofort gehen.“
„Was ist denn los?“, will Dad wissen, als er bemerkt, dass ich mich beunruhigt umsehe.
„Falsches Revier.“
„Was?“, fragt er verständnislos.
„Die ganze Stadt ist in einzelne Reviere aufgeteilt und jeder Vampir verteidigt seines. Gegen andere Blutsauger und natürlich gegen deren Schützlinge. Ganz besonders gegen die Kinder, weil sie leichter zu töten sind. Und ich bin ein Kind für Vampire.“
Dads Augen weiten sich entsetzt. „Dann geh, Caine. Bring dich in Sicherheit.“
Ein lauter Schuss durchdringt die Stille der Nacht, bevor ich flüchten kann. Gleißender Schmerz in meiner rechten Seite reißt mich fast von den Füßen. Das gibt es doch nicht. Dieses feige Schwein von einem
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