Rashminder Nächte 2 (German Edition)
Trotzdem strahlte er Nähe aus“, sagte Kaiden leise. Er lächelte ein wenig, aber das konnte Eryk nicht täuschen. Am liebsten hätte er ihn in die Arme genommen und festgehalten, bis alle Erinnerungen wieder in die Tiefen versunken waren. Doch sie befanden sich in einer Kutsche, in die jeder hineinblicken konnte, nicht in der relativen Sicherheit ihres Hauses. Eryk wagte nicht einmal, ihm die Hand zu drücken. Wenn sie nun einer der Nachbarn sehen würde! Kaidens Lächeln vertiefte sich. Womöglich hatte er etwas von Eryks Gedanken erraten?
„Mit diesem Tag begann eine neue Zeit. Ein neues Leben“, fuhr er fort.
„Nach dem Essen musste ich nicht in den Turm zurück, sondern wurde auf meine Lese- und Schreibfähigkeiten getestet. Meine Ausbildung hatte begonnen. Ich habe tausende Pergamentrollen und Bücher gelesen, vieles davon musste ich auswendig lernen.
Dazu kamen … die absonderlichsten Dinge, mit denen ich meine geistige Selbstbeherrschung zu stählen hatte. Magie ist eigentlich nichts als richtungslose Energie, mit Konzentration und Beherrschung wird sie angewandt. Für jeden Fehler, den ich dabei machte, bekam ich einen Strich auf einer Schiefertafel. Jeder Strich war fünf Stockhiebe wert. Hatte ich zehn Striche gesammelt, wurde ich verprügelt, danach musste ich weiterlernen.“
„Wurde es irgendwann besser?“, fragte Eryk entsetzt. Er war in der Gosse aufgewachsen, hatte es aber auf eine Gardistenschule geschafft, wo er ausgebildet wurde. Gewalt und Prügelstrafen hatte es auch dort gegeben, solch systematische Grausamkeit allerdings war ihm nie widerfahren. Wie viele Fehler er allein beim Lesen- und Schreibenlernen gemacht hatte! Wäre er für jeden einzelnen geschlagen worden, hätte er seine Kindheit nicht überlebt.
Kaiden schüttelte den Kopf, noch immer lächelnd. Es wirkte verloren. So verletzlich hatte er Kaiden selten gesehen, es war beunruhigend.
„Ich habe gelernt, möglichst wenige Fehler zu machen, und irgendwann durfte ich diskutieren, ob es wirklich ein Fehler gewesen war, ich es also hätte besser wissen oder können müssen. Nachdem ich mit zwanzig Jahren meine Magisterprüfung vor der Zauberergilde bestanden hatte, durfte ich auch ohne Torgens Erlaubnis das Haus verlassen, und ich war den Magiebann los. – Oh, das ist etwas, was jedem Zauberlehrling auferlegt wird, damit er nicht unbeabsichtigt oder ohne Aufsicht Magie wirken kann. Doch bis ich von ihm weg und mit dir zusammengezogen bin, bekam ich Schläge, sobald ich einen schweren Fehler beging, Torgen ungerechtfertigt widersprach oder ihn in irgendeiner Weise enttäuscht hatte.“
„Wenn du jetzt also seiner Meinung nach zu spät ankommst …?“ Eryk schwankte zwischen Fassungslosigkeit und Wut.
„… wird er mich zur Strafe verprügeln, ja.“
„Das musst du dir nicht bieten lassen! Du bist ein erwachsener Mann und ausgebildeter Magier, er hat schlicht kein Recht mehr dazu, dich zu schlagen!“
Kaiden fauchte gereizt wie eine Wildkatze, als Eryk ihn in seiner Wut am Ärmel packte und riss sich gewaltsam los.
„Wenn du noch ein Gardist wärst, würdest du dich den Gesetzen der Garde und den Befehlen deiner Hauptmänner unterwerfen, nicht wahr?“
„Ja, natürlich, aber …“
„Nichts aber! Wenn dein Hauptmann dich für Fehlverhalten bestrafen wollte, wäre es eben so. Würdest du das nicht akzeptieren, müsstest du den Dienst quittieren. Habe ich Recht?“
Eryk nickte beherrscht und atmete langsam aus. Kaiden wurde selten so wütend und ungeduldig.
„Entweder, ich folge dem Ruf meines Meisters, sobald ihm der Sinn danach steht und gebe ihm das Recht, mich nach seinem Ermessen zu bestrafen, oder ich kann die Stadt verlassen. Ein Magier, der sich offen gegen seinen Meister auflehnt, wird nicht von der Gilde geduldet. Außerhalb von Rashmind werden Magier fast gar nicht geduldet. Torgen weiß, wie sehr ich ihn hasse, er würde mich nicht rufen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“
Eryk ahnte nichts Gutes, als sie aus der Kutsche stiegen und Meister Torgen in der Tür seines Hauses stehen sah. Der graue Bart des Zauberers wirkte seltsam struppig – konnte es sein, dass bei Magiern die Haare etwas mit ihrer Stimmung zu tun hatten? Bei Kaiden schien es ihm auch immer, als würden dessen Locken noch wüster werden, sobald der sich aufregte oder fürchtete. So wie im Moment etwa. Kaiden war wieder schneeweiß geworden, seine Haare standen in alle Richtungen ab. Dennoch wirkte er gefasst und
Weitere Kostenlose Bücher