Rashminder Tage 02 (German Edition)
nicht wirklich wichtig wäre.“
„Das ist der Grund, warum ich nicht sofort gerufen, sondern versucht habe, es mit dir aufzunehmen. Mach Licht, du findest alles beim Kaminsims.“
Die sorglose Selbstverständlichkeit, mit der sich Stefár weiterhin durch den Raum bewegte, war verdächtig. Jetzt war nicht die Zeit zu fragen, ob der Bengel schon einmal hier gewesen war, als noch Maruv diese Gemächer genutzt hatte. Archym wollte es trotzdem nicht auf sich beruhen lassen.
Einen Schritt nach dem anderen!
Stefár kehrte mit einem Talglicht zum Bett zurück und kniete sich am Boden nieder, Archym zu Füßen. Eine demütige Geste, die bezeugte, wie dringend die Angelegenheit sein musste, die seinen Jungen hierher getrieben hatte. Viele Möglichkeiten gab es da nicht …
„Was hat er angestellt?“, fragte Archym gerade heraus. Stefár zuckte leicht zusammen, versuchte allerdings nicht so zu tun, als wüsste er nicht, von wem die Rede war.
„Lys ist auf dem Weg nach Corlin. Ich habe alles versucht, ihn davon abzuhalten, aber du kennst ihn ja.“
Archyms Magen drehte sich um.
„Was, bei allen Dreigehörnten, hat ihn zu diesem Wahnsinn getrieben?“
„Sein Vater. Erebos hat ihm einen Brief geschrieben und über Graf Inur von Sorala weitergeleitet. Warte.“
Stefár zog ein zerknittertes Stück Pergament hervor. Seine Hände zitterten leicht, als er es übergab. Ein Anblick, der Archym fast in Panik versetzte. Sein Sohn mochte sich in der Zeit als Sklave verändert haben, die Götter allein wussten, was er alles hatte durchmachen müssen. Doch Angst war ihm immer fremd gewesen.
Archym glättete das Pergament und versuchte, die in steilen Buchstaben verfasste Botschaft zu lesen. Völlig aussichtslos in diesem Licht. Grollend drückte er Stefár das Schriftstück wieder in die Hand:
„Lies vor. Meine Arme sind nicht lang genug dafür!“
Ein winziges Lächeln glitt über Stefárs sorgenerfülltes Gesicht. Sein dichter schwarzer Bart verbarg es fast, Archym spürte es mehr, als das er es sah.
„Mein Sohn“, las er vor,
„ich weiß, dass eine Welt von Missverständnissen, bösen Worten und falschen Taten zwischen uns steht. Vieles von dem, was du in den vergangenen Jahren getan hast, kann ich nach wie vor nicht gutheißen. Dies alles soll nicht länger von Bedeutung sein.
Ich liege im Sterben, der Heiler konnte nicht sagen, wie viele Tage mir noch bleiben. Möglicherweise nur noch Stunden. Ich will nicht von dieser Welt abtreten, ohne dass der Hass zwischen uns beigelegt wurde. Ich will dich segnen für das, was noch an Leben vor dir liegt.
Komm zu mir. Ich schwöre, ich werde dich mit offenen Armen empfangen und dir kein Leid zufügen. Du kannst Corlin gefahrlos betreten.
In Liebe, dein Vater, Fürst Erebos von Corlin.“
Stefár ließ den Brief sinken und schaute forschend in Archyms Gesicht.
„Es ist seine Schrift“, sagte Archym langsam. „Aber ich will verdammt sein, wenn das seine Worte sind.“
„Genau das habe ich Lys auch gesagt. Hundert Mal, tausend Mal. Er hat nicht auf mich gehört. Elyne hat es versucht, Tomar, jeder, der davon Wind bekommen hat. Selbst Anniz – du weißt, die Amme seines Sohnes – wollte ihn davon abbringen, und ich schwöre, diese Frau versteht nichts von Politik, Intrigen oder sonstiger Unterhaltung des Adels. Lys hat jedem von ihnen zugenickt und trotzdem seinen verdammten Sturschädel durchgesetzt. Mit erstaunlich wenigen Worten noch dazu, er hat sich geweigert, auf irgendeine Diskussion einzugehen.“
„Aber ihm muss doch klar sein, dass es eine Falle ist!“ Archym konnte es schlicht nicht fassen. Dieser verdammte Bengel war sein Untergang, so viel stand fest!
„Vater …“ Ohne um Erlaubnis zu bitten setzte Stefár sich neben ihn auf das Bett und barg in einer müden Geste den Kopf in den Händen.
„Lys weiß es. Er weiß, dass es eine Falle ist. Dies ist einer der Momente, wo ihm alles egal ist, was sein kluger Kopf sagt und er stur seinem Instinkt folgt. Ich bin der Letzte, der sich darüber beschweren darf, ohne diesen Instinkt wäre ich immer noch ein Minensklave in Irtrawitt. Sobald es um jene geht, die er liebt, vergisst Lys sofort alles, was klug und richtig wäre.“
„Du meinst, er liebt seinen Vater, trotz dessen strikter Ablehnung?“ Archym furchte die Stirn, es fiel ihm schwer, das zu glauben.
„Das Leben könnte so viel leichter sein, wenn es uns nicht zwingen würde, unsere Familie zu lieben. Selbst dann, wenn wir sie eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher