Rashminder Tage 3 (German Edition)
können, es sind alles nur Überlegungen“, erklärte Lys.
„Nun gut. Dass Magie mit Lebenskraft zusammenhängt, ist nicht neu, die Theorie, dass Magie exakt dasselbe wie Lebenskraft ist, auch nicht. Doch das ist bislang stets an der Erkenntnis gescheitert, dass dann jeder Mensch ein Magier sein müsste“, sagte Kaiden.
„Davon rede ich ja. Magie ist nicht bloß Kraft, sondern zusätzlich die Fähigkeit, diese Kraft zu benutzen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass alles, was lebt, eine Einheit bilden muss. So wie der See, der mehr ist als lediglich viel Wasser in einer Erdvertiefung, sondern Wasser, Pflanzen, Fische, Insekten und so weiter in sich vereint. Nimmt man dem See die Insekten weg, verhungern die Fische, fehlen die Fische, gibt es zu viele Insekten, und so weiter.“
„Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinaus willst …“, murmelte Kaiden. Es war gelogen, er wusste es genau, wollte es nur noch nicht wahrhaben.
„Nehmen wir die Flüche deines Meisters Torgen. Er kann dir befehlen, sofort einzuschlafen, nicht wahr? Schlaf ist aber etwas, was nicht deinem Willen gehorcht. Der Fluch beeinflusst also magisch deinen Körper und lässt dich schlafen. Das würde ebenfalls funktionieren, wenn Torgen dir befiehlt einzuschlafen, sobald die Sonne untergeht. Gleichgültig ob du vom Zeitpunkt des Sonnenuntergangs weißt oder nicht, und er selbst muss nicht bewusst den entscheidenden Moment erleben. Der Fluch lässt die Magie selbständig erkennen, wann es soweit ist. Wenn Torgen sich nun beim Wirken des Zaubers ablenken lässt und versehentlich an den Sonnenuntergang der nächsten Vollmondnacht denkt, wirst du demzufolge erst Tage oder auch Wochen später urplötzlich einschlafen.“
„Du meinst, dass die Magie genauso vom Lauf der Gestirne beeinflusst wird wie von den Worten, die der Magier benutzt? Und das umgekehrt der Magier den Lauf der Gestirne beeinflussen könnte, wäre er mächtig genug?“, fragte Kaiden. „Nun, das ist bekannt. Andernfalls könnte ich nicht jede andere Form von Magie wirken, obwohl mein Haupttalent das Finden ist. Das mache ich ständig, ich kann heilen oder Gegenstände aus großer Ferne holen oder Wasser gefrieren lassen, wenn ich das will. Es ist lediglich anstrengender, weil ich es nicht gewohnt bin und es nicht zu meinen Talenten gehört.“
„Das war soweit klar. Was ich meine, ist: Egal ob da oben ein Komet ist oder nicht, du kannst auf deine Magie zugreifen. Andernfalls wären Artefakte oder Flüche nicht länger nutzbar und jeder Mensch müsste sich eingeschränkt oder irgendwie gedämpft fühlen. Die Magie ist nicht ausgelöscht worden, die Lebensenergien fließen weiterhin.“
„Und du hast heute Magie angewendet, als du den Windstoß erzeugt hast, um Lys zu retten“, sagte Eryk langsam.
Kaiden begriff mit einem Mal in aller Klarheit, wie ein Fluch funktionieren konnte – alle Lebewesen, die gesamte Welt war wie ein großer Organismus, wie ein einziges Lebewesen. Indem die gebündelte Lebensenergie genutzt wurde, wurde jedes einzelne Wesen beeinflusst, in seinem gesamten weiteren Schicksalsweg.
Lys griff nach einem Kissen und hielt es so vor die Flamme des Talglichts, dass Kaiden sie nicht mehr sehen konnte.
„Das Licht ist weiterhin da, nicht wahr?“, fragte er. Kaiden nickte.
„Dieser Komet hindert dich, die Magie – oder Lebenskraft – in deiner Umgebung zu benutzen. Die Energien sind da, du findest sie bloß nicht. Wenn allerdings irgendjemand fähig ist, einen Weg um die Sperre herumzufinden, dann doch wohl du.“
„Ich kann jederzeit aufstehen und um das Kissen herumlaufen, um das Licht zu sehen, das ist bloß nicht ganz das Gleiche wie mit …“ Kaiden brach ab.
Gibt es einen Weg, meine Magie zu benutzen?, dachte er so intensiv wie möglich. Und da war die Antwort, nicht ganz so klar, wie er es gewohnt war, aber immer noch deutlich genug. Ja, er konnte es. Jederzeit. Das war es auch nicht, wovor er sich fürchtete …
Kann ich wie Naxander meine Kraft erhöhen, indem ich mich an meiner Umgebung bediene? Es war möglich. Es war leicht!
„Ihr Götter“, murmelte er halblaut. Er verdrängte diese Gedanken.
Er war ein Mensch, stolz darauf, seine Magie ausschließlich im begründeten Notfall einzusetzen. Wenn Lys wirklich Recht hatte …
Natürlich hat er Recht. Wie sonst ist zu erklären, dass ein Fluch funktioniert? Dass ein Mensch eine Stadt niederbrennen kann, einfach nur, weil er es will? Dass tödliche Wunden in wenigen
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