Rasputins Erbe
und ihre Idee schließlich doch verworfen, da sie sich die Party gar nicht so groß und befremdlich vorgestellt hatte.
Deniz trieb sich vermutlich gerade in einer der unzähligen Schwulenbars in der Nähe des Kölner Rudolfplatzes herum und hatte seinen Spaß. Oder er spionierte seinem Ex nach. Julia wischte das Bild eng bekleideter junger Männer, die miteinander tanzten und knutschten, mit einem kurzen Kopfschütteln weg.
Sie erblickte einen Tisch, an dem nur ein einziger, einsamer Gast saß. Die Frau war außerdem gerade mit ihrem Handy beschäftigt. Julia fand, dass dies die ideale Gelegenheit war, um sich setzen zu können, ohne von einem Dutzend fremder Augen angestarrt zu werden.
Julia setzte sich und innerhalb weniger Sekunden eilte ein tablettbeschwerter Kellner auf, der ihr einen weiteren Drink andrehen wollte. Julia wollte ihn erst abwimmeln, entschied sich dann aber doch für ein Glas Sekt. Sie zählte still mit: es war ihr zweiter Drink, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass ein Glas Sekt harmloser als ein Cocktail sein müsste.
Julia begann die Party zu genießen. Während sie die exklusiven Speisen auf ihrem Teller mit wachsendem Appetit verputzte, setzte sie sich in den Kopf, dass sie das Beste aus dem Abend machen wollte.
Entschlossen setzte sie den internen Getränke-Zähler von zwei auf null zurück und beschloss, ihr Graue-Maus-Kostüm abzulegen. Das Schlimmste, was ihr passieren konnte, war – ja, was eigentlich? Es könnte peinlich werden, dachte sie, aber das war ihr nun auch egal.
Die Sache mit Alexej würde sich sicher noch klären. Er hatte neben ihr noch knapp 100 andere Gäste, die begrüßt, umarmt, unterhalten und amüsiert werden wollten.
Julia schob ihren geleerten Teller in Richtung Tischmitte (ein Kellner mit Argusaugen eilte bereits herbei, um für Ordnung zu sorgen) und erspähte Annabelle, die nun ebenfalls am Buffet stand und sich etwas, das wie ein Shrimps-Cocktail aussah, in die eine Hand drücken ließ, während sie in der anderen eine Zigarette hielt.
Julia nahm einen letzten, kräftigen Schluck aus ihrem Sektglas, um den köstlichen Snack runterzuspülen.
Annabelle wirkte so harmlos, so zerbrechlich, wenn man sie nicht kannte. Sie sah gut aus, hatte Sex-Appeal und war sehr extrovertiert. Warum musste sie sich also dieser Illusion hingeben und Julia die Hölle heiß machen, weil sie auf den gleichen Typen standen? Konnte sie sich nicht einfach einen anderen Mann angeln?
So wie Julia das verstanden hatte, war Annabelle längst aus dem Rennen. Offenbar verstand Annabelle das jedoch nicht und Julia bezweifelte, dass diese Verrückte auf sie hören würde.
Julia erschreckte sich, als Katarina sich schnaufend auf einen Stuhl neben ihr fallen ließ und dabei eines der leeren Gläser auf dem Tisch zu Boden warf. Es zersplitterte lautlos auf dem edlen Fliesenboden. Die Musik und die übrige Geräuschkulisse übertönten das Klirren.
„Uuuups“, sagte Katarina und hatte Schwierigkeiten Julia zu fixieren. Sie sammelte sich und fuhr fort: „Julia, du solltest wirklich auf mich hören. Lass die beiden einfach in Ruhe. Annabelle wird nicht lockerlassen, weißt du.“ Julia fühlte sich beobachtet, denn Katarina hatte offenbar mitbekommen, dass sie Annabelle schon eine Weile stirnrunzelnd musterte.
Katarina hatte irgendwie ein neues, gefülltes Glas herbeigezaubert und trank daraus, als wäre dies ihr letzter Abend auf dem Planeten Erde. Anstatt die schöne Russin in ihrem Eifer zu bremsen, entschied sich Julia dafür, die Situation auszunutzen.
Sie fragte nach dem Ring: „Hat Alexej dir eigentlich erzählt, was ich aus Versehen mit seiner Hand angestellt habe?“ Katarina wusste nicht sofort, wovon Julia sprach, und runzelte schielend und schwankend die Stirn.
„Äh, ja. Hat er. Ich war froh, dass er das blöde Ding endlich ausgezogen hat. Wenigstens – wenigstens für einen Tag“, sagte Katarina.
Julia hatte eine Goldader getroffen. Katarina sprach ebenfalls vom Ring. Jetzt würde sie endlich erfahren, was es mit dem komischen Erbstück auf sich hatte.
„Alexej hat mir erzählt, dass er den Ring geerbt hat. Von einem Pjotr, kann das sein? Ein Onkel von ihm?“, fragte Julia weiter.
„Jaja, Pjotr, der alte Spinner. Wir, also ich und Alexej, waren gerade ein Jahr verheiratet, als er gestorben ist. Die zwei haben sich immer gut verstanden. Aber Pjotr war ein komischer Typ. Hat viel gespielt. Hatte aber nie Schulden. Im Gegenteil, er hat seine Mitspieler
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