Rasputins Erbe
sie, das musste man ihr lassen, dachte Julia.
Sie hoffte, dass sie sich mit Annabelle an diesem Abend nicht herumschlagen musste. Vor allem nicht im wörtlichen Sinne.
Katarina machte es offenbar nichts aus, mit Julia am Rande der Party zu stehen. Sie schien einem Tagtraum nachzuhängen, denn sie nippte immer wieder nur kurz an ihrem Drink und starrte ins Leere. Womöglich musste sie sich vom Feiern erholen, dachte Julia. Sie jedenfalls musste nun aktiv werden.
Julia wollte endlich aus sich herauskommen und den Schritt ins Ungewisse wagen. Sie wollte Alexej suchen, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren und um ihm sein Geschenk zu überreichen.
Sie sagte Katarina Bescheid. Katarina nickte und zeigte Julia, wo sie Alexej zum letzten Mal gesehen hatte. Ihr Finger deutete auf eine überschaubare Tischgruppe zwischen Buffet und Bühne.
Julia atmete tief ein und stürzte sich in die Menge. Sie hielt ihre kleine, schwarze Clutch eng umklammert. Damit es keine unvorhergesehenen Peinlichkeiten gab, hatte Julia den Reißverschluss bereits geöffnet, um das Geschenk bei Bedarf elegant und ohne unnötige Zeitverschwendung herausnehmen zu können.
Alexej schien gute Laune zu haben. Er sah blendend aus. Überraschenderweise trug er eine Krawatte. Aber auch in einem so förmlichen Aufzug fand Julia ihn zum Anbeißen.
Alexej war in ein Gespräch mit einem älteren Herrn vertieft, der fast einen Kopf kleiner als er war und einen beeindruckenden Schnurrbart zur Schau stellte. Sie unterhielten sich scheinbar auf Russisch. Neben dem älteren Mann saß eine Frau, die sich eindeutig langweilte und einigermaßen grimmig ihr Sektglas schwenkte und ab und zu einen winzigen Schluck nahm, nur um sich zu beschäftigen.
Julia wusste nicht, wie sie sich bemerkbar machen sollte, denn Alexej war zu sehr mit seinem Gesprächspartner beschäftigt als dass er sie aus dem Augenwinkel hätte wahrnehmen können.
Der Mann jedoch, mit dem er die Diskussion führte, bemerkte die schüchterne Julia, die von einem Fuß auf den anderen trat und nickte lächelnd in ihre Richtung.
Alexej unterbrach das Gespräch und blickte zu ihr auf. Seine Augen strahlten und doch wirkten sie auch kühl. Sie glühten, als sie Julia erblickten, aber es war nicht der gleiche Ausdruck wie bei ihrer gemeinsamen Nacht im Hotel.
„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hättest dich nicht hergetraut“, sagte er und stand auf, um sie mit einer Umarmung und einem Küsschen auf die Wange zu begrüßen.
Julia wusste sofort, dass ihre Beziehung noch nicht offiziell war. Sie hätte sich ohrfeigen können. Wie konnte sie bloß davon ausgehen, dass sie nach ein, zwei Dates plötzlich heiraten würden oder wenigstens zusammen waren?
Auf Alexejs schnippische Bemerkung wusste sie keine Antwort und sie nestelte nun doch unnötig lange an ihrer winzigen Handtasche herum, um Alexej ihr Geschenk zu überreichen.
Es war eine liebevoll verpackte kleine Schachtel. Alexej nahm die Schachtel und grinste. Er sagte etwas auf Russisch zu dem Mann, der die Begegnung der beiden mit großen Interesse verfolgt hatte. Auch die zuvor noch gelangweilt dreinschauende Frau horchte auf.
Plötzlich lachten die drei und Julia wurde rot. Hatte sie irgendeinen ihr unbekannten Kodex missachtet? Sie betete, dass ihr jemand den Witz erklären würde, aber die Freude machte ihr niemand.
Als Alexej sich der Schachtel widmete, um sie zu öffnen, legte Julia verzweifelt die Hand auf seine und meinte fahrig: „Mir wäre es lieber, wenn du das erst später aufmachen würdest.“ Sie reckte ihren Hals, um Alexej etwas Privates ins Ohr sprechen zu können.
„Oh! Natürlich!“, erwiderte er und er fügte erneut etwas auf Russisch hinzu, was die beiden Zuhörer abermals zum Lachen animierte.
Julia hoffte inständig, dass sie nicht über sie oder ihr Geschenk lachten, aber sie konnte ja schlecht nachfragen, um was es eigentlich ging. Sie schwieg also und versuchte ihr Lächeln aufrecht zu erhalten.
Alexej bedankte sich mit einem Nicken und ließ die kleine Schachtel in der Innentasche seines Sakkos verschwinden. Julia konnte für einen kurzen Moment den Ring an seinem Finger aufblitzen sehen. Außerdem schien er immer noch einige Kratzer an der Hand zu haben. Er wirkte viel abweisender als sonst und Julia überlegte, ob an ihrer fixen Idee mit dem Ring womöglich wirklich etwas dran war.
Julia wollte sich jedoch nicht wieder in Tagträumereien verlieren und sich lieber um das kümmern, was sie in diesem
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