Rasputins Erbe
Moment erlebte. Sie wollte die Kontrolle über die Situation gewinnen, aber es fiel ihr denkbar schwer. Bevor ihr etwas Passendes eingefallen war, was sie hätte sagen können, stellte Alexej ihr den Mann und die Frau vor, die gerade so herzhaft gelacht hatten.
„Das hier ist die entzückende Anastasia Karlow, meine Tante und das hier ist ihr Mann, Vitali Karlow. Die beiden sprechen leider kein Deutsch. Keine Angst, wir haben nicht über dich gelacht. Es ist schwer zu erklären. Es wäre besser, wenn du Russisch lernen würdest. Vieles kann man nichts wortwörtlich übersetzen“, erklärte Alexej geduldig. Julia nickte und schüttelte den beiden Karlows freundlich die Hand und spürte erst dann, dass ihre eigenen Hände ungewöhnlich stark schwitzten.
Da waren keine Hintergedanken, befand Julia erleichtert und wischte sich unauffällig erst die eine und dann die andere Handinnenfläche an ihrem Kostüm ab. Sie konnte es an den netten und ehrlichen Blicken des Ehepaares ausmachen. Sie hatte sich also doch nicht blamiert.
Noch nicht, unkte der Teil in ihr, der ihr auch ständig einflüsterte, dass sie weniger Fastfood essen sollte oder dass sie sowieso die Finger von Alexej lassen müsste, falls sie noch alle Tassen im Schrank hatte.
Ursprünglich hatte Julia die Party nutzen wollen, um Alexej ganz ungezwungen etwas näher zu kommen, aber daraus wurde erst einmal nichts. Als sie sich endlich dazu durchringen konnte, ein Gespräch zu beginnen, ertönte eine laute Männerstimme, die von einem riesigen Typen ausging, der wie ein in die Jahre gekommener Preisboxer aussah.
Julia wusste, wann sie unerwünscht war und verzog sich, nachdem ihr Alexej sogar den Rücken zugekehrt hatte. Nicht einmal das Kleid hatte er bemerkt, dachte Julia traurig. Aber was hatte sie sich auch dabei gedacht, hierher zu kommen? Sie war keine reiche Unternehmerin und sie wusste nichts von dieser absurden, bunten und lauten Welt, in der jeder jeden kannte.
Alexej hatte nun seinerseits den Riesen in ein Gespräch verwickelt und sich von einem der Kellner eine Flasche Vodka bringen lassen.
Er behandelte Julia wie Luft und sie kam sich naiv vor, als sie sich langsam den Weg zurück durch die Menschenmenge bahnte, um sich weiter mit Katarina zu unterhalten.
Die war jedoch nicht mehr dort, wo sie sie vor wenigen Minuten hatte stehen lassen. Julia schaute sich um und sah Katarinas prunkvolles Armband im Licht einer der vielen Scheinwerfer in der Nähe der Bühne aufblitzen. Sie tanzte. Katarina war wirklich ein Unikat, dachte Julia und musste unwillkürlich grinsen.
Sie entschied, dass sie sich erst einmal einen Happen beim Buffet gönnen würde, um ein wenig Zeit zu gewinnen. So völlig kampflos wollte sie das Schlachtfeld an diesem Abend nicht verlassen.
Letztlich hatte sie durchaus Verständnis dafür, dass Alexej sie nicht auf den Schultern durch die Menge trug und laut herausposaunte, dass sie im nächsten Jahr heiraten würden.
Es war einfach dumm gewesen, dass sie davon ausging, ihn nach ein, zwei Dates so sehr von sich überzeugt zu haben, wo er doch hier die freie Wahl zwischen dutzenden Schönheiten hatte, die mit Sicherheit nicht nur besser aussahen, sondern auch besser zu ihm passten.
Das Buffet war extrem gut sortiert. Es gab so ziemlich alles, was entweder lecker schmeckte oder übertrieben teuer war.
Julia sah diverse Kaviar-Sorten, um die sie einen großen Bogen machte, eine große Auswahl an handlichen Pasteten, die zu Pyramiden gestapelt waren, mindestens zwei Dutzend verschiedene Torten und Kuchen, vier große Bowlen, die in grellen Farben leuchteten und natürlich auch viele warme Speisen, die von konzentriert arbeitenden Küchengehilfen auf die edlen Teller geschaufelt wurden.
Julia wunderte sich kurz, dass es auf dieser Party kein Menü à la carte gab. Vermutlich wäre es zu viel Aufwand gewesen, dachte sie. Außerdem hätten sich viele der jungen Dinger bestimmt gelangweilt, grübelte sie weiter, als sie neidisch die teils endlosen Beine der schönen Frauen, die in einzelnen Cliquen herumstanden und kicherten, betrachtete.
Sie hatte ihren Teller mit einem Mix aus möglichst exotischen Speisen befüllt, denn sie wollte die Gelegenheit nutzen, um neue kulinarische Eindrücke zu gewinnen.
Der nächste Schritt erwies sich als noch viel schwieriger: Wo sollte sie sich überhaupt hinsetzen?
„Wieso habe ich nicht Deniz mitgenommen“, dachte Julia leicht verärgert. Sie hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt
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