Rasputins Erbe
Trophäe sozusagen.
Kapitel 13 – Jack’s Werkstatt
Julia hatte auf der Fahrt nach Hause beschlossen, dass sie das bescheuerte Tattoo entfernen lassen wollte. Sie schlief mit der Überzeugung ein, dass es Zeit für einen neuen, reiferen, erwachseneren Lebensabschnitt war. Und sie wachte mit derselben Überzeugung an einem trüben und eiskalten Sonntag auf.
Sie verfluchte die deutschen Arbeitsschutzbestimmungen, denn ohne diese doofen Regeln hätte sie Jack, ihren Tätowierer, bereits am Sonntag aufsuchen können. Die meisten ihrer oft internationalen Kunden erzählten davon, wie befremdlich sie die altmodischen und absolut unzeitgemäßen Gesetze in Deutschland fänden und wie viel moderner es doch bei ihnen zuging. Am Vortag musste sie ihnen Recht geben.
An diesem Montag jedoch war ihr Ärger verraucht und Julia suchte Jack’s Werkstatt gleich nach der Arbeit auf. Auf dem Weg zu seinem kleinen Laden in der Altstadt erinnerte sie sich an das kurze, aber aufschlussreiche Gespräch mit Verena, das sie am Vortag geführt hatte.
Verena meinte, Julia sollte die Vorkommnisse auf der Party nicht allzu eng sehen. Vor allem Alexejs Reaktion auf ihr Tattoo sei wirklich kein Beinbruch, immerhin könne man es zur Not entfernen lassen. Julia hatte sich gefreut, dass ihre beste Freundin sie so gut kannte und ihr – völlig unbewusst – genau den Rat gegeben hat, den sie sich selbst auch geben würde.
Julia hatte ihre Ermittlungen bezüglich des Rings verschwiegen, denn sie wusste, dass Verena solche Dinge lächerlich fand. Verena hätte es nicht verstanden, grübelte Julia, als sie in die richtige Straße einbog und kurz vor dem Laden innehielt. Außerdem hatte Julia nicht viel herausgefunden. Sie hatte im Internet nach Rasputin gesucht, ihre Suche jedoch rasch wieder abgebrochen, weil sie sich bescheuert und paranoid vorgekommen war.
Durch das leicht staubige Glas konnte sie erkennen, dass Jack gerade eine Kundin bediente. Sie hoffte, dass es nicht lange dauern würde und betrat einen der wohl exotischsten Läden in ganz Köln.
Jack war in seine Arbeit vertieft, aber das Geräusch eines ratternden Maschinengewehrs konnte er nicht überhören. Julia erschreckte sich jedes Mal über diese fürchterliche Klingel. Jack und die namenlose Kundin lachten jedoch.
Julias Tätowierer rief, eine Zigarette zwischen den gepiercten Lippen: „Hey! Ich wusste, dass du wiederkommst. Alle kommen wieder. Wie du siehst, kommen manche sogar häufiger als es ihren Arbeitgebern lieb ist.“ Er lachte und Julia war klar, dass er sich auf die Kundin bezog, der er gerade ein Tattoo an einer der letzten freien Stellen auf ihrem Oberarm stach. Die leicht übergewichtige Frau, die in seinem Sessel saß, grinste stolz und erwartete offenbar, dass Julia ihre Motivwahl lobte.
„Nicht schlecht“, log Julia, denn in Wirklichkeit konnte sie gar nicht erkennen, um was es sich handelte. Das lag nicht an Jack's Talent als Tätowierer, sondern daran, dass auf dem unförmigen Körper dieser Frau mindestens zwanzig Tattoos prangten.
Das Gesamtbild war für Laien wie Julia einfach nicht nachvollziehbar. Sie setzte sich auf die gammelige Couch, die den Wartebereich darstellte und griff eines der Magazine, die auf dem Glastisch davor ausgebreitet lagen.
„Ich kümmere mich gleich um dich. Die Session ist für heute sowieso fast vorüber“, erklärte Jack und steckte sich gekonnt die nächste Zigarette an, ohne die Nadel abzusetzen.
Julia war froh, dass er sich damals bei ihr mehr auf das Tattoo konzentriert hatte und nicht darauf, seinen frühzeitigen Tod durch unheilbaren Lungenkrebs heraufzubeschwören.
Jack war ein unverbesserlicher Kettenraucher und Julia fragte sich, wie er es überhaupt schaffte, seinen teilweise verwahrlosten Laden durch die regelmäßigen Kontrollen vom Gesundheitsamt zu mogeln. Vermutlich war der oder die Zuständige Kunde bei Jack, anders konnte sie sich das nicht erklären.
Wenige Minuten später entließ Jack die überglückliche Frau. „Komm nächste Woche wieder, dann schaffen wir den Rest vielleicht an einem Tag!“, rief er ihr nach, bevor sie den Laden verließ und das nervtötende Maschinengewehr erneut aktivierte.
„So, was kann ich für dich tun?“, fragte Jack, der sich nun zu Julia auf die Couch gesetzt hatte und munter die nächste Kippe aus seiner Schachtel klopfte.
Er schielte voller Vorfreude auf den Motivkatalog, den Julia in der Hand hielt und stellte sich offenbar schon vor, wie er ihr einen
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