Rasputins Erbe
wichtig gewesen war.
Julias Gedanken rasten und sie war sich nun nicht mehr so sicher, ob sie das Tattoo wirklich entfernen lassen wollte. Jack sagte die Wahrheit: Julia konnte den Vorgang selbst, die Zeremonie, den Schwur nicht rückgängig machen.
Sie versuchte jedoch noch einmal, Jack auf ihre Seite zu ziehen: „Ich will einfach nicht, dass ich wegen dem Ding auf meinem Fuß lächerlich gemacht werde. Weißt du eigentlich, wie peinlich das war?“, fragte sie und ihre Stimme klang dabei aggressiver, als sie es geplant hatte.
„Naja, was glaubst du denn? Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber wenn ich in den Spiegel gucke, dann sehe ich eigentlich nur noch Tattoos und Piercings. Neunundneunzig Prozent aller Menschen, die ich treffe, lachen hinter meinem Rücken über mich. Wenn ich es zulassen würde, dass sie mich mit ihren Kommentaren, ihren Blicken, ihren Vorurteilen runterziehen, hätte ich mich vermutlich längst umgebracht“, sagte Jack und Julia musste ihm zustimmen.
Jack's Körper war mit Tattoos übersät und sein Gesicht bimmelte und klingelte, wenn er lachte, denn überall hingen Piercings, kleine Ringe, Kugeln, Nadeln und sonstige Metallteile.
Jack war zwar ein Freak, aber er war nicht dumm. Julia realisierte, dass sie sich womöglich ein wenig zu sehr angestellt hatte. Aber so richtig überzeugt war sie noch nicht.
Sie wollte gerade zum erneuten Gegenschlag ausholen, als Jack wieder das Wort ergriff. Er zog kräftig an seiner mittlerweile dritten Zigarette und sagte: „Ich weiß, was du denkst. Es ist einfacher, wenn du jetzt einen Rückzieher machst. Aber es ist trotzdem falsch. Ich sage das bestimmt nicht, weil ich so sehr von meinem Talent überzeugt bin. Es ist natürlich deine Sache, ob du es behalten willst oder nicht.“
Er schaute Julia an und Julia schaute sich ihr Tattoo an, bewegte den Fuß und beobachtete, wie der Stier sich auf ihrer Haut bewegte. Sie wollte es nicht wirklich loswerden, sie wollte bloß keinen Ärger damit haben.
Sie begann vorsichtig, denn sie wollte sich einen Fluchtweg offenhalten: „Vielleicht hast du ja Recht. Ich -“
Jack lächelte und unterbrach sie: „Julia, hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, dass mich alle Welt Jack nennt? Wie viele Menschen in Deutschland kennst du, die Jack heißen? Richtig, keinen einzigen. Ich heiße nicht wirklich Jack. Ich habe mir den Namen ausgedacht, als ich in London unterwegs war und mich dort in den Tattoo-Studios nach Inspirationen umgeschaut habe. Einer der Läden hieß 'Jack's Workshop' und das fand ich klasse. Also habe ich mich Jack genannt. Damit konnte ich mich identifizieren. In Wirklichkeit heiße ich Manuel. Der Name gefällt mir nicht. Ich heiße Manuel, aber ich bin Jack. Es ist mein Image. Ein Symbol. Genau wie dein Tattoo. Du heißt zwar Julia, aber du bist doch auch ein Stier. Mutig, stark, stur, friedlich und auch ein wenig aufbrausend. Ich finde, dass dein Tattoo hervorragend zu dir passt. Aber ich will dir in deine Entscheidung nicht reinreden. Warte kurz, ich hole die Infoprospekte, damit du dir schon mal Gedanken darüber machen kannst, wie wir dein Tattoo wieder wegbekommen.“
Jack stand auf und ging in den hinteren Teil seines Ladens. Er wühlte in einem Regal voller Ordner und zog dabei immer wieder an seiner Zigarette.
Julia war sich nun sicher. Sie wollte ihr Tattoo behalten. Jack hatte ihr die Augen geöffnet. Seine simplen Worte hatten etwas in ihr bewegt und sie war froh, dass sie trotz ihrer Skepsis vor ein paar Jahren den Schritt über die Schwelle von Jack's Werkstatt gewagte hatte. So einen freundlichen Tätowierer gab es in Köln bestimmt kein zweites Mal, überlegte sie.
Der Stier war ihr tatsächlich wichtig. Jack lag damit völlig richtig. Es war ein Symbol für ihre Stärke, ihren Eifer, ihren Mut und auch für ihre nicht so positiven Eigenschaften.
Julia lächelte, denn Verena hatte ihr das Motiv unwissentlich vorgeschlagen, als sie sich heftig gestritten hatten und sie von ihrer besten Freundin zu hören bekam, dass sie stur wie ein Stier sei. Damals hatte es bescheuert geklungen und Julia erinnerte sich noch gut daran, dass Verena der Ausbruch einigermaßen peinlich gewesen war, vor allem jedoch, weil ihr kein besseres Schimpfwort eingefallen war.
„So, hier sind die Broschüren. Ich rate übrigens dazu, die Lasermethode zu wählen. Das ist zwar teurer, aber -“
Diesmal unterbrach ihn Julia: „Jack, danke, aber ich will mein Tattoo lieber behalten. Es
Weitere Kostenlose Bücher