Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rasputins Erbe

Rasputins Erbe

Titel: Rasputins Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah Wilde
Vom Netzwerk:
nicht viel für die Lehrinhalte ihres Deutsch-LKs übrig gehabt.
    „So, warum sind Sie hier?“, fragte Carl plötzlich.
    „Ich weiß es nicht genau. Wie gesagt wusste ich nicht, wohin ich sonst gehen sollte“, sagte Julia perplex.
    „Das mag schon sein, aber ich glaube, dass Sie ein ganz bestimmtes Ziel verfolgen. Ist es nicht so?“, erwiderte Carl und nippte erneut an seinem Tee.
    Julia überlegte. Was wollte sie eigentlich? Warum war sie zu ihrem Psychologen gegangen? Was hatte sie hierher getrieben. Sie konnte sich diese Fragen nicht beantworten. Sie hoffte, dass ihr Gegenüber Licht ins Dunkel bringen würde.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch erhob sich und setzte die Teetasse ab. Er schaute Julia scheinbar missbilligend an. Sie sagte nichts. Sie wartete ab. Sie wünschte sich, dass sich ihre Probleme von allein lösen würden.
    „Frau Steinkamp, wenn Sie sich verschließen, dann kommen wir nicht weiter. Sie brauchen mir nicht die Wahrheit zu sagen. Erfinden Sie etwas, wenn es Ihnen hilft. Erzählen Sie mir, was passiert ist. Erzählen Sie mir von dem, was Sie glauben, dass es passiert ist. Packen Sie ihr Problem an. Benennen Sie es. Konfrontieren Sie es. Mich interessiert die Wahrheit nicht. Sie brauchen mir keine Geheimnisse zu verraten, wenn Sie nicht wollen. Aber seien Sie wenigstens ehrlich zu sich selbst.“
    Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Was ist eigentlich aus ihrem damaligen Freund geworden? Ich vermute, Sie haben sich getrennt?“
    Carl hatte ein gutes Gedächtnis. Julia war beeindruckt. Entweder hatte der Mann nur sehr wenige Patienten oder er konnte sich wirklich gut merken, was mit seinen Kunden los war.
    Julia atmete tief durch und erzählte ihm alles. Sie begann bei der Trennung von Thomas – ihr kam es mittlerweile so vor, als wäre ihre Beziehung vor vielen Jahrzehnten gewesen und nicht erst vor ein paar Monaten.
    Sie erzählte von ihrem Karrieresprung, von ihrer inoffiziellen Ernennung zur Juniorchefin. Sie nahm allen Mut zusammen und erzählte auch davon, dass Peer ihr den glamourösen Titel bereits wieder weggenommen hatte. Dass sie im nächsten Jahr vermutlich ohne Job dastehen würde.
    Außerdem berichtete Julia in allen Details, wie sie den mysteriösen Russen kennengelernt hatte und dass sie in ihn verliebt war. Sie beschrieb, was in dem unheimlichen Keller passiert war. Sie zeigte ihrem Gegenüber sogar die hässliche Brandwunde. Carl verzog keine Miene. Er ließ sie erzählen. Er schwieg und hörte zu. In unregelmäßigen Abständen nahm er einen Schluck von seinem Friesentee. Er hatte sich wieder gesetzt. Er war in seinem Element.
    Julia beendete ihren Monolog mit einer Frage. Sie hoffte inständig, dass Carl sie beantworten konnte.
    „Glauben Sie, dass diese Frau zu so etwas fähig wäre?“
    Carl stellte seine Tasse endlich ab und legte die Fingerspitzen aneinander. Er schaute Julia über seine kreisrunden Brillengläser hinweg eindringlich an. Schließlich meinte er: „Ich glaube, dass jeder Mensch zu so etwas fähig ist. Wichtig ist nicht, was ich glaube, sondern was Sie glauben. Letztendlich ist sogar das unwichtig. Denn egal wie fest Sie an etwas glauben – ihr Glaube an eine Sache macht die Sache nicht zwingend real. Schauen Sie sich doch um. Überall herrschen Kriege. Es sind Glaubenskriege.“
    Julia hätte eine solche Antwort eher vom verträumten Balu erwartet, nicht jedoch vom nüchternen Carl Gustavsson, den sie für einen liebenswerten Langweiler hielt, der seinen Job ein bisschen zu ernst nahm.
    Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte. Carl sah ihren fragenden Blick, also zupfte er sein Kordsakko zurecht und sprach weiter: „Was ich damit sagen will ist Folgendes. Wenn Sie daran glauben, dass diese Frau zu so etwas fähig ist – wie werden Sie damit umgehen? Wollen Sie abwarten und gegebenenfalls auf ihren nächsten Schritt reagieren? Oder wollen Sie die Kontrolle zurückgewinnen?“
    Julia antwortete sofort und mit fester Stimme: „Ich will, dass es aufhört.“
    Carl musterte Julia einen Moment lang und schaute dann zur Decke. „Das 'Es' existiert nicht wirklich. Im weitesten Sinne könnte man sagen, dass Sie 'Es' sind“, sagte er und Julia war verwirrt.
    „Das verstehe ich nicht“, sagte sie.
    Carl hatte offenbar Schwierigkeiten den Blick von der Decke zu lassen, aber schließlich fixierte er wieder Julia.
    Er sagte: „Erinnern Sie sich noch an unsere letzte Sitzung?“ Julia erinnerte sich nur zu gut, aber sie verstand immer noch

Weitere Kostenlose Bücher