Rasputins Erbe
durch Handauflegen heilen könnte. Ohnehin war er ein komischer Kauz“, sinnierte Carl weiter.
„Was ist denn aus ihm geworden?“, fragte Julia und hoffte, dass der belesene Mann mit der Nickelbrille ihr zufällig etwas über den mysteriösen Ring erzählen würde. Aber sie wurde enttäuscht, als Carl mit den Schultern zuckte: „Das müsste ich nachlesen. Wenn Sie wollen, schaue ich nach. Ich glaube, ich habe das entsprechende Buch hier im Büro.“
Julia schüttelte den Kopf. „Nein, danke, Sie haben mir schon weitergeholfen“, sagte sie und lächelte.
Sie nahm einen letzten Schluck aus ihrer Teetasse und spürte, wie das unheimliche Gesöff ihren Hals erwärmte und im Magen ein angenehmes Gefühl hinterließ.
„Vielen Dank für den Tee“, sagte sie und stand vorsichtig auf. Diesmal wurde ich nicht schwindelig und sie wusste, dass sie fürs Erste vor weiteren Nervenzusammenbrüchen gefeit war. Es hatte ihr gut getan, mit einer weitestgehend neutralen Person zu sprechen.
Carl begleitete sie noch aus seinem Büro und betonte, dass sie sich um die Kosten für die spontane Sitzung keine Sorgen machen müsste. Sie hätte ohnehin noch einige Stunden zur Verfügung gehabt, seit sie die Behandlung einige Monate zuvor überraschend abgebrochen hatte.
Als Julia wieder auf der Straße stand und es bereits dunkel wurde, griff sie nach ihrem Handy, um sich bei Verena zu entschuldigen.
Die war jedoch überhaupt nicht wütend. Im Gegenteil. Sie war froh, dass sie Julia endlich von ihrem eigenen kleinen Abenteuer erzählen konnte.
„Ich habs mir doch gedacht“, meinte Julia grimmig. Und weiter: „Ich war gerade bei Carl – du erinnerst dich? - und da ist mir bewusst geworden, dass Alexej die Wahrheit gesagt haben muss. Es ist nur ein Gefühl, aber ich weiß, dass ich richtig liege.“
„Und was willst du jetzt tun? Ich meine, die Frau gehört hinter Gitter. Du hättest sie sehen müssen. Die ist völlig verrückt“, sagte Verena erbost. Ihr Erlebnis vom Vormittag hatte sie richtig mitgenommen.
Julia hatte bereits einen Plan. Es war ein guter Plan, wie sie fand. Ohne Abenteuer, ohne Gefahr, ohne Action.
„Ich werde gar nichts machen. Ich fahre über Weihnachten zu meiner Mutter aufs Land. Ich muss mal wieder raus. Ich hoffe, dass Alexej in der Zwischenzeit kapiert, dass Annabelle hinter all dem steckt, aber ich werde mir nicht die Mühe machen, ihm das zu erklären. Er soll mir beweisen, dass ich ihm etwas bedeute. Nochmal lasse ich mich auf diese Spielchen nicht ein, so viel steht fest“, antwortete Julia selbstbewusst.
Verena war erleichtert, dass Julia sich vorerst nicht persönlich mit ihrer neugewonnenen Erzfeindin anlegen wollte, allerdings war sie auch ein wenig besorgt, denn sie traute Annabelle mittlerweile alles zu.
Kapitel 20 – Hotel Mama
„Mama, ich komme schon morgen. Oder hast du was dagegen?“, fragte Julia am Telefon.
„Oh, wie schön! Natürlich kannst du schon morgen kommen. Je früher du hier aufkreuzt, desto mehr Spaß werden wir haben. Ich hatte schon befürchtet, dass du mich gar nicht besuchen willst“, antwortete Julias Mutter fröhlich.
Julia packte ihre Sachen und vertrieb sich den restlichen Abend damit, sich durch das todlangweilige Fernsehprogramm zu zappen. Es war eine Art Hobby von ihr – vor allem interessierten sie natürlich die Werbespots. Nicht jedoch in dieser Nacht, denn die Werbung erinnerte sie an ihren Job, den sie so liebte.
Sie ging mit gemischten Gefühlen ins Bett, freute sich jedoch darauf, endlich ihre Mutter wiederzusehen. Außerdem konnte sie es kaum erwarten, die frische Landluft zu schnuppern.
Knapp zwölf Stunden später saß Julia im Zug. Sie zog es vor, mit der Bahn zu reisen. Autofahren war ihr meist zu stressig und vor allem nach den chaotischen Wochen, die hinter ihr lagen, wollte sie sich damit nicht auch noch belasten.
Julias Mutter wartete am Bahnhof auf sie und begrüßte ihre Tochter überschwänglich. Julia fiel zum ersten Mal auf, wie alt ihre Mutter mittlerweile war. Sie freute sich jedoch auf ihren kleinen Landurlaub und folgte ihrer Mutter in Richtung des Autos.
Dort angekommen erschrak Julia, denn sie wurde durch beständiges Kläffen begrüßt. Im Familienauto saß ein großer schwarzer Hund. Julia verdrehte die Augen und schaute zu ihrer Mutter herüber. „Das ist also die Überraschung, von der du gesprochen hast?“, fragte sie.
„Ist er nicht süß?“, erwiderte sie und öffnete den Kofferraum. Der riesige
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