Rasputins Erbe
Julia wehrte sich nicht. Für gelegentliche Zärtlichkeiten war selbst sie noch nicht zu alt.
Am nächsten Morgen wurde Julia von Luke geweckt. Er schleckte ihr das Gesicht ab und tobte im Zimmer und auf ihrem Bett herum. Wenige Augenblicke später stürzte Julias Mutter ins Zimmer und entschuldigte sich lachend: „Oje, das macht er sonst aber nicht. Er scheint dich ja wirklich gern zu haben!“
Als ihre Mutter den Hund aus dem Zimmer gelockt hatte, ließ Julia den Kopf wieder in die Kissen fallen. So viel zum Thema Entspannung, dachte sie und blieb noch ein paar Minuten liegen.
Unter der Dusche begutachtete Julia ihre Brandwunde. Sie heilte nur sehr schlecht, aber das war offenbar normal bei dieser Art von Verletzung. Je häufiger sie darüber nachdachte, desto absurder wurde die Vorstellung, dass Alexej wirklich etwas damit zu tun hatte.
Trotz ihrer neu entfachten Gefühle ihm gegenüber wollte sie ihn erst einmal zappeln lassen. Sie hatte die Hoffnung, dass er endlich kapieren würde, was für ein gefährliches Spiel seine Sekretärin spielte. Solange Julia Landurlaub hatte, konnte er sich mit ihr herumärgern.
„Na, wie schläft es sich im eigenen Bett?“
„Gut. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mir einen sabbernden Wecker gestellt habe“, erwiderte Julia. Sie hätte lieber ausgeschlafen, so viel war klar.
„Jetzt stell dich nicht so an. Es ist bereits nach zehn. Ich dachte, wir unternehmen heute was und bei dem unbeständigen Wetter will ich lieber auf Nummer sicher gehen“, sagte ihre Mutter und schenkte der verschlafenen Julia Kaffee ein.
„Mama, musst du nicht arbeiten?“, fragte Julia und hoffte, dass sie in den folgenden zwei Wochen auch mal Zeit allein verbringen konnte.
„Ich habe mir für heute frei genommen – ach, jetzt guck nicht so. Ich hatte sowieso noch ein paar Urlaubstage. Du wirst mich schon noch los“, meckerte Julias Mutter.
Blond, schlank, Rundungen an den richtigen Stellen. Julia überlegte, dass die Frau, die ihr unter Höllenqualen (wie sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu erzählen pflegte) das Leben geschenkt hatte, für ihr Alter wirklich fabelhaft aussah. Alt zwar, aber trotzdem attraktiv.
Sie dachte, dass sie mit fünfundvierzig auch gerne noch so fit wäre und realisierte, dass ihr Lebensstil in letzter Zeit nicht sonderlich gesund gewesen war.
„Wie schaffst du es eigentlich, so frisch auszusehen. Ich bin gestern viel früher als du ins Bett gegangen – und ich bin trotzdem hundemüde“, sagte sie und genoss den Riesenpott Kaffee, an dem sie ihre schlecht durchbluteten Hände wärmte.
„Schatz, ich gehe viermal pro Woche laufen und ich esse kein Fleisch. Du weißt das doch längst. Wenn du willst, dann bringe ich dich bis Weihnachten wieder in Form“, antwortete sie und grinste ihre Tochter an. Sie sah wirklich unverschämt wach aus, dachte Julia.
„Ach, da fällt mir was ein. Guck mal, was ich mir im Internet bestellt habe.“, sagte ihr Mutter und holte ein Paket aus dem Flur, das offenbar erst vor ein, zwei Tagen gekommen war.
Julia verdrehte die Augen, aber außer Luke, der geduldig darauf wartete, dass man ihn endlich fütterte, sah das niemand.
„Ach du scheiße. So was ziehst du an?“, fragte Julia alarmiert. „Na hör mal, ich finds super“, antwortete ihre Mutter stur und zog sich kurzerhand das Shirt, das sie gekauft hatte, über und stemmte die Hände provokativ in die Hüften. Der Slogan auf dem Shirt lautete Marathonina.
„Martina wird zu Marathonina. Findest du das wirklich so schrecklich?“, fragte Martina enttäuscht.
„Naja, es ist nicht schlecht. Aber ein bisschen flach, finde ich“, besänftigte Julia sie.
Martina schaute an sich herunter und stellte fest, dass ihr das Shirt nach Julias harscher Kritik noch besser gefiel.
„Du hast bloß Angst, dass deine Mama cooler ist als du“, scherzte sie und machte sich daran, dem Hund Futter in den Napf zu füllen.
Julia atmete tief ein und überging die Bemerkung souverän. Sie war froh, dass niemand in der Nähe war, der ihre - in ihren Augen extrem peinliche - Mutter miterleben konnte.
Die nächsten Tage verbrachte Julia hauptsächlich damit, auf der Couch zu liegen und zu lesen. Sie genoss das vorübergehende Leben auf dem Land und vermisste außer ihrer besten Freundin Verena nichts und niemanden.
Julia hatte sich an einem Abend, an dem es draußen besonders ungemütlich stürmte und regnete, mit ihrer Mutter über Alexej
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