Rasputins Tochter
Essensresten, die von seinem Mund und von seinen dreckigen, schmierigen Fingern hingen, anstarrte, wie konnte ich nicht? Wie konnte er diese Frau misshandelt haben, und wie konnte er jetzt so viel trinken? Wie konnte er sich so schrecklich kleiden, und wie konnte er sich nicht um Geld und die Dinge kümmern, die wir, seine Familie, brauchten? Und diese Worte, die er sprach: Woher kamen sie? Was bedeuteten sie? Ich starrte meinen Vater an, fragte mich, wie viele Frauen er in seinem Arbeitszimmer befummelt hatte - Hunderte? - und verstand zum ersten Mal, warum so viele Leute ihn hassten. War er nicht mehr als ein wahnsinniger Bauer aus den fernen Wäldern, wie seine Feinde behaupteten?
„Aber Papa“, forderte ich heraus, „du isst so viel Fisch, warum ist nicht auch ein Heiligenschein über deinem Kopf? Du behauptest, ein Mann Gottes zu sein, also warum sollten die Apostel Heiligenscheine haben und du nicht?“
Mein Vater ließ seinen Löffel in seine Schüssel fallen, wobei ein Stück von dem billigen Porzellan absplitterte, und drehte sich herum und starrte mich mit diesen tiefen eisblauen Augen an. Aber die Augen waren nicht ruhig; sie erforschten meinen Körper, mein Gesicht, meine Gedanken. Mein Herz begann zu klopfen. Jeder behauptete, vor den durchdringenden Augen meines Vaters, vor seinen Händen, die nie aufzuhören schienen, sich zu bewegen, Angst zu haben. Aber vor mich sah ich nicht den Mann, dessen Name auf den Lippen von jeder Person in dem Land war, nicht Vater Grigori oder Rasputin oder Grischka. Nein, ich sah meinen eigenen Vater, und ich weigerte mich, eingeschüchtert zu werden. Immerhin, wer war er, dieser Mann, der darauf bestand, dass jeder die Wahrheit spreche? Nichts als ein Betrüger? Ein Scharlatan? Daher starrte ich zurück, meine Augen nicht so tief wie seine, oder so blau, aber jedes bisschen strahlend, war ich sicher. In Erwiderung tauchte dieser tiefe, gutturale Klang aus der Kehle meines Vaters, ein wütender Klang wie ein Tiger, der bereit zu springen ist.
Nicht eingeschüchtert konnte ich mich nicht zurückhalten, den Punkt voranzudrängen, als ich fragte: „Also, warum kann ich deinen Heiligenschein nicht sehen?“
Ihre eigene Stimme zitterte, als unsere liebe Dunja murmelte: „Aber Kind, er ist gleich da.“
Meine Augen nicht von meinem Vater nehmend, fragte ich: „Gleich wo?“
„Na, dort über seinem Kopf. Kannst du den Heiligenschein nicht sehen?“
Ich konnte es nicht, daher drehte ich mich Dunja zu und in ihrem Gesicht sah ich nichts als Zuversicht, nichts als völligen Glauben. Sie sah etwas, natürlich tat sie es, aber was? Als ich meine Schwester anblickte, fand ich, dass sie mich direkt anstarrte, und ich erspähte in ihrem jungen Gesicht nichts als Furcht und Unglauben. Nein, totalen Schock, das war es. Wie wagte ich es, unseren Größer-als-das-Leben-Vater infrage zu stellen? Und doch, als ich ihn anblickte, sah ich nichts. Ich starrte und prüfte, blinzelte sogar, aber über seiner verrückten Haarmasse war … eine Leere.
Ich würde nicht lügen, besonders heute nicht, als ich mit angesehen hatte, was im Arbeitszimmer meines Vaters vor sich gegangen war. Voller Gewissheit bewegte sich mein Kopf, schüttelte langsam von einer Seite zur anderen. Wer war ich, wenn ich nicht praktizierte, was Papa mich all diese Jahre gelehrt hatte? Wer war ich, wenn ich mich nicht für den himmlischen Glauben einsetzte, den er in mein Herz gepflanzt hatte? Besser noch, wer war er?
Sie war noch immer dort, die leere Stelle über Papas Kopf, und ich starrte auf den unsichtbaren Platz uns sagte: „Ich sehe nichts.“
Ganz plötzlich, wie ein Adler, der seine Beute aus dem Fluss packte, bohrte Papa seine Finger in die Suppenschüssel und schaufelte nicht ein, nicht zwei, sondern drei große milchige Dorschstücke heraus Er warf seinen Fang in seinen bärtigen Mund und seinen Schlund hinunter, verzehrte alles in beinahe einem Schluck.
Als spinnenartige Spuren cremiger Suppe auf seinem haarigen Kinn wirbelten, schrie Vater Dunja zu: „Die Lichter!“
Ihre Augen vor Überzeugung glühend, schob Dunja ihren Stuhl zurück, der beinahe umkippte. So schnell sie es aufbringen konnte, eilte sie zu der Wand, wo mit einem Klaps ihrer Hand sie den Lichtknopf drückte. Mit einem einzigen Schlag wurde der schwere bronzene Kerzenleuchter dunkel. Zuerst wurde das Zimmer schwarz und dann langsam, ganz schwach, rot - in der „schönen“ Ecke des Zimmers brannte eine Öllampe vor einer
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