Rasputins Tochter
und in Selbstmitleid zu schwelgen, ging ich weiter in Richtung Newsky Prospekt, mein Schritt langsamer als vorher, meine Gedanken weitaus trauriger. Auf die gröbste Weise hatte ich begonnen zu verstehen, dass Papa ein Geliebter von sehr vielen war, etwas, was ich sicher wusste, nie sein könnte. Tatsächlich begann ich zu erkennen, dass mein Herz von einer Person gestohlen worden war, und ich bezweifelte, dass ich es je wiedererlangen würde - auch wenn ich Sascha nie wiedersah.
Als ich mich der Fontanka 46 näherte, der Palast der adeligen Galitzine-Familie, blickte ich hoch und sah die elegante Gestalt der Gräfin Carlowa selbst, die, schien es, ängstlich aus dem mittleren Erkerfenster im ersten Stock starrte. Ich war vorher auf sie aufmerksam gemacht worden, daher wusste ich, dass sie es war, und dort stand sie jetzt in einem langen blauen Seidenkleid mit einer Perlenkette, die von ihrem Hals hing. Sie drehte sich um und blickte zu mir auf den Gehsteig hinunter, und unsere Augen begegneten sich für den kürzesten Augenblick. Ich wusste von der Traurigkeit, die mich überwältigte, aber was war mit ihr? Warum erschien sie so ängstlich? Wer wusste, was vor jedem von uns lag - für sie, eingeheiratet in einen Zweig der Romanow-Familie, und für mich, Tochter eines berüchtigten Bauern - aber gerade da konnte ich nicht umhin zu spüren, dass sie auch fühlte, als ob wir in einem Sumpf traten. War die geliebte Stadt von Peter dem Großen, erbaut von Tausenden bemitleidenswerten unterdrückten Leibeigenen auf nichts als Sumpfland, dabei, sich zu öffnen und das ganze Reich zu verschlingen Vielleicht. Den Gerüchten zufolge war sogar die Kaiserinwitwe aus der Hauptstadt geflohen.
Als ich nach vorne einen schnellen Blick warf, sah ich die massiven Bronzepferde der Anitschkow-Brücke, so elegant in der Haltung an jeder Ecke, und darunter scheinbar in Miniatur ein geschmeidiges schwarzes Pferd, das einen fantastischen Schlitten über die Fontanka zog. Statt jedoch weiter bis zum Newsky zu gehen, blieb ich am hinteren Teil des Eckgebäudes stehen, dem riesigen roten Sergeeiwski-Palast, den die Schwester der Zarin verlassen hatte, nachdem ihr Ehemann ermordet wurde. Nachdem sie ihre glitzernde Position verlassen hatte, hatte die Großherzogin Elizawjeta Fjodorowa ein Kloster außerhalb von Moskau gegründet, und nun wurde dieser äußerst beeindruckende Palast von ihrem Neffen und ehemaligen Schützling, dem jungen und schneidigen Großherzog Dmitri Pawlowitsch, bewohnt.
Ich tauchte durch ein schmales Hintertor und in eine dunkle Gasse, die direkt hinter dem Palast verlief, woraufhin ich sofort einer Reihe von etwa dreißig oder vierzig notleidenden und frierenden Seelen begegnete. Beinahe die Hälfte davon waren Soldaten, einigen fehlten beide Beine, einigen nur eines, während der Rest verarmte Frauen und babuschki waren. Der ganze zitternde Haufen wartete auf die Barmherzigkeit des Herzogs und vielleicht auf einen Zinnbecher mit heißer Suppe und eine Scheibe Schwarzbrot. Sogar in meinem einfachen Umhang war ich besser gekleidet als jemand von ihnen -tatsächlich trugen einige der Soldaten nicht einmal Umhänge, sondern dreckige Decken über ihre Schultern. Sobald sie mich erblickten, wie ich mich um sie herumschlängelte, wogte ein kleiner Ansturm durch die Gruppe, und beliebig viele dreckige, bettelnde Hände wurden in mein Gesicht geschoben. Während diese armen Seelen beinahe zu Tode frierend hier unten standen, fragte ich mich, was der französische Küchenchef des jungen Großherzogs für ihn oben in der belle étage zubereitete. Kaviar und Kalbsfleisch, begleitet von einem angenehmen Baron de Rothschild-Wein? Krabben und Gänsepastete, serviert mit einem eleganten französischen Champagner?
Papa hatte mich strikt gewarnt, solche mittellosen Gruppen zu meiden, die sich, da der Krieg voranschritt, in der ganzen Stadt zutage traten. Und er hatte absolut Recht. Ich sollte nicht hier sein und mich mit ihnen vermischen, nicht, weil sie mich vielleicht angreifen würden, sondern weil die Bedrohung von Typhus Tag für Tag anstieg. Von dem Stöhnen und dem heiseren Husten hörte ich, dass es keinen Zweifel gab, dass diese Leute entweder mit Läusen bedeckt waren oder infiziertes Wasser getrunken hatten. Oder beides. Aus Furcht jedoch, erkannt zu werden, wusste ich, dass ich nicht zum Haupteingang gehen konnte, also presste ich die Falten meines Umhangs über meine Nase und meinen Mund und versuchte zu vermeiden, an
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