Rasputins Tochter
hatten die Blutung verlangsamt und schließlich gestoppt.
„Ich kann sehen, dass das Leiden des Jungen schlimmer ist als es unlängst war“, murmelte Papa, als wir den Palast betraten. „Ich weiß nicht, was ich für ihn tun kann, denn natürlich liegt es am Willen Gottes, aber ich werde mein Bestes versuchen.“
Wieder einmal folgten wir eilig Madame Wyrubowa durch die großen Türen, vorbei an den Wachen und dem Empfangstisch und in die privaten Gemächer der königlichen Familie. Statt die lange mittlere Halle mit ihrem orientalischen Teppich hinunterzugehen, brachte uns Madame Wyrubowa, die auf ihren Krücken humpelte und mit ihrem grauen Kleid, das auf dem Boden nachzog, in den kleinen Holzaufzug links. Schweigend fuhren wir in den zweiten Stock hinauf, das Stockwerk der Kinder, wo wir einen langen leeren Gang hinuntergeführt wurden. Ich bemerkte, dass die Türen rechts fest verschlossen waren, denn das waren die Zimmer der persönlichen Dienstmädchen der Zarin, denen sicher gesagt worden war, keinen Fuß außerhalb ihrer Kammern zu setzen.
Als wir zu einer Doppeltür auf der linken Seite kamen, bogen wir in das Kinderspielzimmer, wo ich Jahre früher hingebracht worden war, um mit der dritten Tochter des Zaren, Maria Nikolaewna, die in meinem Alter war, zu spielen. Nun, als wir das große Zimmer betraten, fanden wir nicht das Indianerzelt, die Trommeln, den Spielzeughund auf Rädern oder sogar Alekseis aufziehbaren Zug, auf den er so stolz war, sondern eher eine emsige Gruppe von Männern, die ernst untereinander klatschten. Da war auch ein Mann, sein Rücken war zu uns, der leise, aber heftig schluchzte, als er sich an den großen grünen Kachelofen an der gegenüberliegenden Wand lehnte. Als ich schnell hinter Papa und Madame Wyrubowa zur anderen Tür trabte, gingen wir an eine Gruppe von Männern vorbei - ein Schwarm von Ärzten und Spezialisten - die uns anstarrten und Rasputin praktisch anspuckten. Aber Papa bemerkte es nicht, daher versuchte ich sie auch zu ignorieren. Alles, was zählte, alles, worauf sich mein Vater konzentrierte, war das Kreischen aus dem Nebenzimmer.
„Hilf mir!“, kam der Schrei. „Mama, hilf mir!“
Eine von Papas größtem Können war seine erstaunliche Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Er konnte eine einzelne Bibelstelle wochenlang studieren. Er konnte das verdrießliche Gesicht einer Ikone einen ganzen Tag erforschen. Und nun konnte er sich auf den Schrei des Erben Zarewitsch Aleksei Nikolaewitsch konzentrieren, indem er den Tonfall des Schmerzes so aufmerksam las, als ob er eine himmlische Hymne wäre.
„Nicht einen Augenblick zu früh“, murmelt er, wobei seine rechte Hand das goldene Kreuz umklammerte, ein Geschenk von der Kaiserin selbst, das um seinen Hals hing.
Kurz bevor ich ihm durch den nächsten Türeingang folgte, blickte ich noch einmal auf den hohen Ofen Der Mann, der an den Kacheln lehnte, drehte sich um und unsere Augen begegneten sich. Gospodi , es war der Zar selbst, seine Augen nass und rot. Mein Herz schmerzte für ihn. War der Junge wirklich an der Türstufe des Todes?
„Mama, ich kann nicht! Ich kann nicht! Es ist zu viel!“, kam das Flehen aus der Kammer des Jungen. „Bitte lass es aufhören! Bitte lass mich sterben!“
Als wir das nächste Zimmer betraten, fiel eine Reihe von Gebeten von Papas Lippen, ein schwerer Gesang, ein Ruf zu Gott um seine Barmherzigkeit. Mein Vater stieß seinen Bauernmantel ab und ließ ihn zu Boden fallen und drängte vorwärts, aber ich blieb stehen, wobei ich zu einem der Fenster ging, das mit großen Blumenvorhängen bedeckt war. Das einzige Licht in dem Zimmer kam von den Öllampen, die vor der Vielzahl an Ikonen hingen, eingeschlossen in ihrem großen gebogenen kiot . Als ich durch das sanfte, rauchige Licht blickte, sah ich Aleksei Nikolaewitsch sich vor Schmerzen winden, als er auf seinem einfachen vernickelten Feldbett lag. Es schien, als ob sein schwindender Körper versuchte, seine Seele über die Türschwelle des Todes zu ziehen, während Russlands mächtige Kaiserin, Aleksandra Fjodorowna, die auf ihren Knien war und die Hand ihrer Sohns umklammerte, genauso hart versuchte, ihn hier zu behalten. Wie eine Mutter Oberin war sie im Gebet zusammengekauert und bat Gott um Barmherzigkeit, bat Gott, dieses Kind zu retten, das im Fieber verloren war.
„Mama … Mama …“, keuchte er, „wird es so sehr wehtun, wenn ich in den Himmel komme?“
Mit höchster Zuversicht schritt Papa direkt hinter der
Weitere Kostenlose Bücher