Rasputins Tochter
Leben zu verlassen und die größere Herrlichkeit Gottes in einem Frauenkloster zu suchen. Ich würde meinen ausgefallenen verstädterten Namen Maria aufgeben und zu meinem wirklichen Ich zurückkehren, Matrjona, das Landmädchen der fernen Provinzen. Ja, ich würde meinen Vater und meine kleine Schwester zum Abschied küssten, vielleicht eine Reise nach Hause machen, um Mama und meinem Bruder Dmitri ein Lebewohl zu sagen, und dann würde ich einen Platz aussuchen, um meine Gelübde abzulegen. Ich wollte eindeutig keinen Platz in der Hauptstadt - Smolny etwa - oder irgendwo in der Nähe. Besser, etwas Entferntes, je weiter östlich, umso besser. Ja, eindeutig etwas von den europäischen Einflüssen entfernt, die unsere Nation wie verschmutztes Wasser überflutet. Ein Frauenkloster verborgen auf einer Insel in der Mitte eines verlorenen sibirischen Sees würde einfach prima sein. Es gab viele Klöster, die über die Länge von Sibirien verstreut waren, bis zur Kamtschatka-Halbinsel und dem Beringmeer, und der beste Platz würde nur einer sein, der nur ein paar Monate im Jahr zugänglich sein würde, ein Platz wo die Straßen und die Flüsse nur während der kurzen Sommermonate offen waren. Von der Welt abgeschnitten zu sein, würde Gebet und Selbstprüfung ermuntern. Sicherlich würden meine Eltern nicht dagegen sein, wenn ich die Gelübde ablegte. Und da Sascha fort war - was, wenn wir einander nie wiedersähen? - wäre das Leben einer Nonne weitaus besser als hier in der Hauptstadt zu heiraten und eine der unbedeutenden Bourgeoisie zu werden, besessen von der richtigen Anrede, dem richtigen Hut und Kleid und dem erforderlichen gesellschaftlichen Stand. Ich hatte wirklich keine Wahl, nun, da ich darüber nachdachte. Wenn ich bliebe und hier in Petrograd heiratete, konnte ich mir nur das Geld und die Einladungen vorstellen, mit denen die Leute mich überschütten würden, alle in der Hoffnung, Zutritt zu meinem Vater zu erlangen, was sie wiederum viel näher zum Thron stellen würde. Wie leicht das sein würde. Und wie schrecklich.
Ich blickte auf, als ich jedes letzte bisschen Fisch gegessen hatte, nur um zu erkennen, dass meine Schwester nicht länger da saß. Als ich mein Geschirr in die Küche trug, war Dunja auch nicht zu finden, weder am Ofen noch in ihrem kleinen Klappbett hinter dem Vorhang. Als ich mein Geschirr in die Porzellanspüle stellte, blickte ich auf die Uhr, die an der Wand tickte. Nach elf. Nicht so spät, besonders für diesen Haushalt, aber es schien, dass Schlaf in dieser schlaflosen Stadt endlich und gesegnet in unsere Wohnung gekommen war.
Ich rollte gerade die Ärmel meines Kleides auf, um zu beginnen, mein Geschirr zu spülen, als ich eine leichte, diskrete Bewegung an der Hintertür hörte. Ich hielt bewegungslos inne. Jemand begann leicht an die Tür zu klopfen, ein Geräusch zu leise, dass es sogar eine Maus hätte sein können, die am Holz kratzte. Aber nein, ich hörte das Rascheln von Kleidung am hinteren Treppenabsatz. Zu dieser Stunde vermutete ich, dass es wahrscheinlich Fürst Felix war, der sicher zu klopfen begann, bis er Einlass erlangte - immerhin, wann war ein Jusupow jemals von jemandem abgewiesen worden?
Dann kam es mir in den Sinn, dass es ganz und gar jemand anderer sein könnte. Darum betend, rannte ich zur Tür.
„ Kto tam ?“ Wer ist dort?
Der längste Augenblick verging, bevor eine tiefe Stimme erwiderte. „Ich.“
Ein albernes Grinsen erblühte auf meinem Gesicht. „Und was willst du zu so später Stunde?“
„Hineinkommen.“
„Warum?“
„Weil ich verzweifelt bin, dich zu sehen.“
„Versprochen?“
„Mit meinem ganzen Herzen.“
Ich blickte schnell über meine Schulter. Da ich kein Zeichen von meinem Vater oder Dunja sah, tat ich es. Ich dreht das Schloss. Ich öffnete die Tür. Und Sascha kam in unser Heim und in meine Arme. Ohne ein bisschen zu zögern, ohne ein einziges Wort fielen wir einander in die Arme. Ich neigte meinen Kopf leicht zur Seite, schloss die Augen und fühlte so sehr, was ich hatte wollen, seine Lippen auf meinen. Eine belebte Aufwallung an Wärme füllte meinen Kopf, meinen Magen. Es schien sowohl für immer anzudauern, und doch nur einen flüchtigen Augenblick, dieser Kuss, diese Umarmung. Alles von mir schien in ihn zu strömen, und alles von ihm flutete gewiss in meinen ganzen Körper. Er hielt mich mit einer Intensität, die ich nie erfahren hatte, seine starken Hände, die sich in meinen Rücken pressten, mich gegen
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