Rasputins Tochter
vor der Ikone hing, die er am meisten schätzte, seine einfache, ungeschmückte Kopie der Kazanskaja . Papas Stimme war tatsächlich tief und voll Leidenschaft, aber er betete nicht. Als ich hineinblickte, erkannte ich mit einem fürchterlichen Schrecken, dass, während Papa tatsächlich ausgestreckt lag, es nicht vor einem Stück Holz mit einer heiligen Darstellung der jungfräulichen Mutter und Kind war. Eher lag er mit dem Gesicht nach unten auf unserer eigene Dunja. Sie hatten beide ihre Kleider auf dem Boden fallen lassen und waren in Papas enges Metallbett gekrochen, und unter der Decke bedeckten sie kaum ihre sich bewegenden nackten Körper. Ich konnte deutlich sehen, wie mein Vater unsere Haushälterin bei ihren Weichteilen hielt. So vertieft waren sie, dass sie nicht einmal mein Eindringen bemerkten, und so schockiert war ich, dass ich nicht einmal keuchen konnte, denn ich hatte zu atmen aufgehört.
Hinter mir hörte ich das ferne Quietschen eines Bodenbrettes, und ich wirbelte in absolutem Entsetzen herum. Warja, bekleidet mit einem Nachthemd, ging auf mich zu. Ich schlug beinahe die Tür meines Vaters zu.
„Ist Papa schon auf?“, fragte meine Schwester. „Ich will ihm einen Gutenachtkuss geben.“
In totaler Panik hielt ich meine Finger an die Lippen. „Pst! Er schläft!“
Auf Warja zueilend, schnappte ich sei beim Arm und wirbelte sie herum. Was hatte ich gerade gesehen? Während mein Herz klopfte, war das Einzige, was ich sicher wusste, dass heute Nacht es nicht die Zeit für meine jüngere Schwester war zu erfahren, was ich jetzt wusste, dass unsere liebe Haushälterin, die wie unsere zweite Mutter war, in Wirklichkeit genau das war.
„Wir können Papa nicht stören“, schnauzte ich.
„He, lass mich los!“, jammerte Warja. „Das tut weh!“
„Komm schon, Papa braucht seine Ruhe … und wir auch! Du musst zu Bett gehen.“
„Aber -“
Wie eine zornige Schulmeisterin schleppte ich Warja zurück in unser Zimmer, wo ich sie praktisch in ihr Bett schob.
„Nun geh schlafen, Waritschka“, sagte ich und ging so schnell ich konnte hinaus, damit sie die Tränen nicht sehen konnte, die meine Augen hochstiegen. „Ich bin in ein paar Minuten zurück. Ich mache nur das Geschirr fertig.“
„Oh, in Ordnung!“ Sie gähnte, als sie unter die Decken kroch. „Aber ich hasse es, wenn du mich so herumstößt.“
Wieder in der Küche fielen meine Tränen eine nach der anderen in das Spülwasser. Bedeutet das, dass Papa unsere Mutter nicht liebte? Würde er sie verlassen? Was ist mit der Heiligkeit der Ehe, die er so oft predigte?
„Zur Hölle mit ihm!“, rief ich aus und schlug mit meiner Faust auf meine Schenkel.
Währen ich auf meiner Unterlippe kaute, dachte ich an die vielen Geschichten, die zu Hause über der Küchenspüle erzählt wurden, darüber, wie meine Eltern heirateten, als Papa zwanzig war und sie ein paar Jahre älter. Ich hatte zu verstehen begonnen, dass meine Mutter, wie alle Bauersfrauen, nicht so sehr wegen ihrer Schönheit, die begrenzt war, ausgesucht worden war, und sicher nicht wegen ihres Reichtums, der nicht existierte, sondern wegen ihrer Stärke und Fähigkeit, ein Bauernleben zu führen, die beispielhaft waren.
Durch die Risse in den Familiengeschichten jedoch hatte ich auch zu verstehen begonnen, dass, während meine Mutter Papa immer liebte, sie sich mit der Zeit von ihm abgewandt hatte. Nun, dass ich darüber nachdachte, erinnerte ich mich, wie sich die Dinge zwischen ihnen geändert hatten, nachdem Mama eine Notfallstotaloperation gehabt hatte. Hatte die Operation, die ihr Leben gerettet hatte, tatsächlich etwas anderes getötet - nämlich ihr Bedürfnis nach erotischer Aufmerksamkeit? Mama behauptete immer, dass sie Vaters lange Abwesenheiten von zu Hause tolerierte, weil sie sein religiöses Leben unterstützte - aber das war eine vollkommene Lüge, nicht wahr? Und was für eine Art von Lüge lebte mein angeblich heiliger Vater - der so oft von den Segnungen der Liebe sprach - ebenso?
Gerade in dem Augenblick hasste ich sie alle - Mama, Papa und besonders Dunja. Dunja, die immer so süß zu uns war, aber die nicht mehr als eine hinterhältige Dirne war, die sich in unser Heim und in die Hose meines Vaters schlich. Eine frische Tränenwoge brach aus meinen Augen. Alles fühlte sich schmutzig und schrecklich an: diese Wohnung, meine ganze Familie und ich. Ich wollte davonrennen, vor diesem Ort und diesem Leben fliehen.
Und dann hörte ich es wieder, mehr
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