Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
dass wir erst nach dem Auffinden des Opfers das Fest verlassen hatten. Der Taxifahrer konnte sich gut an uns erinnern und Böhringers Auto wurde am nächsten Tag – wie geplant – aus der Parkverbotszone abgeschleppt. Sein Einspruch gegen den gegen ihn erlassenen Bußgeldbescheid, in dem er scheinheilig vortrug, dass es doch besser sei, den Wagen in der Verbotszone abzustellen, als alkoholisiert den Wagen nach dem Besuch des Festes wegzufahren, wurde erwartungsgemäß zurückgewiesen. So ergab sich eine runde und gut dokumentierte Geschichte, die uns von jedem Verdacht freihielt. Glücklich wurde von uns in der Folge keiner. Delia verfiel in Depressionen, an denen sie noch heute leidet. Sie frisst die schlimmen Ereignisse in sich hinein. Deshalb, lieber Stephan, ist sie in Behandlung, in der sie sich nicht öffnet, weil sie damit zugleich mich opfern müsste, was sie nicht tut. Sie achtet noch immer ihren Vater, der ihr in ihrem Leben nichts geben konnte, was sie für ihre Persönlichkeit gebraucht hätte, ganz davon zu schweigen, dass er die geliebte Mutter nicht ersetzen konnte. Böhringer und Traunhof blieben zumindest äußerlich berechnend und kalt. Sie verwiesen achselzuckend darauf, dass sie keine Wahl gehabt und letztlich nur für Delia gehandelt hätten, der sie ein belastendes Strafverfahren erspart hätten, welches zugleich ihre noch nicht begonnene Zukunft zerschlagen hätte. Böhringer und Traunhof waren tatsächlich davon überzeugt, das Ideal der ›Zehn‹ vorgelebt zu haben, und sie offenbarten damit erstmals, wie hohl und fragwürdig die hochmütige Moral von Menschen ist, die sich selbstgerecht über andere erheben. Ich habe weiterhin geschwiegen, aus Scham und selbstverständlich im Gedanken an meine Tochter, die ich vor Strafe schützen wollte. Gossmann, der sich wie ich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hatte, hinterfragte in den folgenden Monaten immer mehr, ob er mit dem Wissen um diese Tat weiterleben könne, wenn er sich nicht offenbare. Erstmals bekundete er dies rund eine Woche nach der Tat, als wir uns auf Traunhofs Initiative bei diesem trafen. Traunhof hatte gespürt, dass Gossmann – wie er sagte – auf Dauer ein unsicherer Kandidat sei. Wir unterhielten uns an jenem Abend erst über dieses und jenes, und eigenartigerweise über den Verfall der Moral anderer, weil wir ganz im Gegensatz zu unseren Idealen in unserem unmoralischen Tun eine perfide Normalität zu erkennen suchten. Mein Standardbeispiel zu diesem Thema war Maxim Wendel, mit dessen Fehlverhaltensweisen ich aus meiner Tätigkeit als Schulpflegschaftsvorsitzender bestens vertraut war. Jetzt stellte sich heraus, dass Gossmann Wendel als seinen früheren Nachbarn kannte. Es war eher eine flüchtige Bekanntschaft gewesen. Man hatte sich stets nur zufällig getroffen und bei diesen Gelegenheiten manchmal einige belanglose Sätze gewechselt. An diesem Abend erfuhren wir also erstmals von der Achse zwischen dem biederen Rudolf Gossmann und dem schrägen Maxim Wendel, wobei Gossmann von Wendels zweifelhaften Vorlieben bis zu diesem Zeitpunkt nichts wusste. Wendel war zwischenzeitlich verheiratet und zu seiner Frau in den Dortmunder Süden gezogen.
Das Gespräch zwischen Traunhof, Böhringer, Gossmann und mir hangelte sich schwerfällig über die Zeit, aber schließlich kam Gossmann immer wieder auf den Punkt, dass ihn sein Gewissen plage und es ihn auch nicht tröste, dass andere nicht besser seien. Er hätte den Unfall sofort zur Anzeige bringen müssen, dann hätte das noch lebende Opfer gerettet werden können. Böhringer versuchte ihn zu fangen, indem er ihm bewusst machte, dass sich Gossmann selbst strafbar gemacht habe, weil er dem überlebenden Opfer nicht geholfen habe. Ich schwieg, weil ich hoffte, dass der von Böhringer aufgebaute Druck Gossmann entsprechend motivieren könnte, aber es war uns allen klar, dass Gossmann eine tickende Zeitbombe war. Seine ›Betreuung‹ durch uns wurde nun noch intensiver. Wir führten immer wieder Gespräche mit ihm über dieses Thema, begleiteten ihn teilweise auch durch seinen Alltag und schließlich auch in den Zeiten, in denen er sich der Malerei hingab.
Kann man einen Mord vorsorglich planen und einzelne Tatelemente im Voraus ausführen und sammeln? Die Frage zu stellen, heißt sie in diesem Fall zu bejahen. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob es Böhringer oder Traunhof war, der in einem Gespräch zwischen uns dreien unverhohlen die Frage aufwarf, wie mit Gossmann
Weitere Kostenlose Bücher