Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
dieser Sache, und ich werde meinen Irrtum als Glücksgriff betrachten.«
Er suchte im blassen, ruhigen Gesicht der Frau nach Anzeichen für Verschlagenheit. »Ich wurde in derselben Zelle wie Tzigone festgehalten. Auf Euer Geheiß?«
»Aber ja. Die Diebin hatte behauptet, du hättest sie eingelassen.«
»Ich habe die Fensterläden nicht verriegelt«, gab er kühl zurück. »Tzigone deutete das ohne Zweifel als Einladung. Laßt mich meine Frage umformulieren. Würdet Ihr gern hören, daß Tzigone mein Amtsmedaillon gestohlen hat?«
Ihre intelligenten schwarzen Augen verengten sich, als sie versuchte, die Absicht in seinen Worten zu finden. »Nicht unbedingt. Sprich offen!«
Matteo zog die Nachricht aus seiner Tasche und gab sie ihr. Während Cassia sie überflog, preßte sie die Lippen aufeinander, wobei ihr blasses Gesicht eine fast graue Farbe annahm.
»Du dachtest, ich hätte dir diese Nachricht in der Hoffnung geschickt, das Mädchen würde sie stehlen?«
»Eine nachvollziehbare Vermutung«, sagte Matteo.
»Vollkommen«, stimmte sie zu. »Sag mir, wo sie ist.« »Ich weiß nicht. Sie sagte, sie wolle die Stadt verlassen.« Cassia lächelte spöttisch, aber spröde. »Und du hast ihr geglaubt? Als Jordain bist du gezwungen, die Wahrheit zu sprechen. Aber sicher bist du kein solcher Narr, zu glauben, daß jeder den gleichen Kodex befolgt.«
Er hielt ihrem spöttischen Blick stand und gab nichts von dem preis, was in seinem Herzen vor sich ging. »Nein, meine Dame, ein solcher Narr bin ich nicht.«
* * *
Cassias zweite Nachricht erreichte ihn spät am Abend und war keine so große Überraschung wie die erste. Matteo dankte dem Boten und glättete das aufgerollte Stück Pergament. Es war nichts weiter als eine kurze Anweisung in der smaragdfarbenen Tinte der Ratgeberin, sofort in ihre Gemächer zu kommen.
Eine Anweisung. Matteo nahm diesen Wandel besorgt zur Kenntnis. In ihrer ersten Nachricht hatte Cassia noch zugegeben, daß sie ihm keine Anweisungen erteilen konnte. Anscheinend dachte sie jetzt anders. Sie mußte nur ein Wort sagen, und sein Leben als Jordain war vorüber. Er konnte ein ehrbarer Diener der Wahrheit bleiben, solange er bereit war, Cassias Forderungen über seine persönliche Integrität zu stellen. Aber was war mit dem Versprechen, das er Tzigone gegeben hatte? Wie sollte er etwas über die Geheimnisse erfahren, die Cassia wahrte, wenn er nicht wenigstens eine Zeit lang ihr Spiel mitspielte?
Es war ein komplexes Problem, das sich völlig von all den Wissenschaften unterschied, deren Studium er sein Leben gewidmet hatte. Seufzend schob Matteo die Nachricht in seine Tunika und machte sich auf den Weg durch den Palast, um sich ins luxuriöse Quartier der Ratgeberin des Königs zu begeben.
Er klopfte an ihre Tür, die ein Stück aufging. Das war für ihn nicht überraschend, schließlich erwartete Cassia ihn. Er rief leise den Namen der Jordain und trat ein.
Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn in mitten in der Bewegung erstarren. Cassia lag am Boden, ihr blasses Gesicht hatte eine kränkliche, bläulich-graue Farbe angenommen, und ihre schwarzen Augen waren hervorgetreten.
Matteo kniete neben ihr nieder. Ihre Haut war eiskalt, und er vermutete, daß sie schon seit einigen Stunden tot war. Die Todesursache war nicht zu übersehen: Eine silberne Kette war um ihren Hals gelegt und so fest zugezogen worden, daß sie sich tief in das Fleisch gebohrt hatte.
Einen schrecklichen Moment lang dachte er, es könnte sein Anhänger sein, doch als er die kleine silberne Scheibe umdrehte, zeigte sie das Emblem Cassias, der Jordain im Dienste von König Zalathorm.
Matteo seufzte vor Erleichterung und Selbsttadel. Wieso hatte er zuerst an Tzigone gedacht? Sie hatte gesagt, sie würde die Stadt verlassen. Sie war einverstanden gewesen, von ihm die Informationen zu erhalten, die Cassia besaß. Und sie hatte ihm nie Anlaß zu dem Gedanken gegeben, sie könnte eine Mörderin sein.
Aber was war mit den Verbrechen, die Cassia angedeutet hatte? Tzigone war eine Diebin, das hatte sie zugegeben. Aber was war sie möglicherweise sonst noch?
Der Drang, das zu erfahren, brachte ihn dazu, sich zu erheben und ins Arbeitszimmer der Ratgeberin zu gehen. Matteo sah sich ausgiebig Cassias Schreibtisch an, dann suchte er Buch für Buch die Regale ab. Er hielt Ausschau nach verborgenen Schubladen, Wandsafes und Geheimfächern. Die Ratgeberin des Königs brachte es auf bemerkenswerte acht Verstecke. Sie waren alle
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