Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
notwendige Illusion. Dein neuer Patron bestand darauf«, sagte sie sanft und lehnte sich zurück. »Laß uns über angenehmere Dinge sprechen. Es gibt vieles in deiner Ausbildung, was mich interessiert. Erzähl mir über das Kilmaruu-Paradox.«
In Andris’ braunen Augen flammte Aufmerksamkeit auf. »Ihr kennt es so gut wie ich. Der Sumpf von Kilmaruu ist ein Hort der Untoten. Viele Magier und Abenteurergruppen haben versucht, den Sumpf zu säubern, aber sie scheinen die Kreaturen nur noch zu stärken. Jedes Vordringen in den Sumpf zieht einen Vergeltungsschlag gegen die Dörfer und Ländereien ringsum nach sich. Wenn andererseits nichts geschieht, um die Untoten im Zaum zu halten, gelangen sie in den Hafen und machen sich über die Schiffe her.«
»Und wie willst du das Problem lösen?«
Andris beugte sich vor. »In Zalasuu gibt es ein Sprichwort: ›Der Sumpf von Kilmaruu sorgt dafür, daß es in Zalasuu nie zu viele Narren gibt.‹ Das ist wahr. Doch wenn man die Aussage umdreht, ergibt sich eine andere Wahrheit. Erhöht man die Zahl der Narren in der Stadt, können wir die Zahl der Untoten im Sumpf niedrig halten. Kennt Ihr die Etymologie des Wortes ›Jordain‹?«
»Nur zu gut«, sagte sie. »In Alt-Netheresisch, der Sprache, aus dem Halruaanisch entstanden ist, war es das Wort für ›Narr‹. Damals besaß dieses Wort eine höhere Wertschätzung als heute. Ein Narr war ein Berater für Könige und Magier, ein Barde, der über den Weg satirischer Lieder unterhielt und beriet. Ich nehme an, dieser nette kleine Exkurs dient einem Zweck?«
»Dazu komme ich noch. Erlaubt mir, meine These Schritt für Schritt zu erklären«, sagte Andris und wurde mit jedem Wort lebhafter. »Welches Element haben alle gemein, die in den Sumpf vordringen, um ihn zu erobern? Welche Waffe benutzen sie?«
»Magie.«
»Und Magie nährt die Untoten. Die Kreaturen scheinen sie zu brauchen. Warum sollten sie sich sonst in die Häfen begeben und Schiffe angreifen? Ich habe mich damit beschäftigt, welche Fracht diese Schiffe geladen hatten. Ohne Ausnahme befanden sich auf ihnen eine beträchtliche Zahl an Zauberkundigen und magischen Gegenständen.«
Kiva nickte. »Ich hatte nicht daran gedacht, nach einem Schema zu suchen. Aber deine Argumente klingen vernünftig.«
»Aus Gründen, die ich nicht verstehe, brauchen die Untoten im Sumpf Magie, um zu überleben. Die Magier, Krieger und Kleriker, die mit magischen Waffen und heiligen Artefakten ausgerüstet sind, ernähren die Untoten – wie eine Bedienung in einer Taverne Scheiben von einem heißen Schmorbraten serviert.«
Kiva mußte angesichts dieses Vergleichs ein Lächeln unterdrückte und bemerkte den leicht geringschätzigen Tonfall in der Stimme des jungen Mannes. Über kurz oder lang würde er beides bedauern. »Und die Lösung?«
»Es gibt viele in diesem Land, die kein magisches Talent besitzen. Die Jordaini sind dabei die Vorreiter, doch es gibt auch andere. Bringt sie zusammen und geht ohne Magie gegen die untoten Bewohner Kilmaruus vor.«
Die Worte hingen in der Luft wie eine Herausforderung, wie ein Fluch, wie Blasphemie. Elfe und Mensch wußten, daß diese Strategie allem zuwiderlief, was Instinkt und Tradition des Landes ausmachten.
»Und wer würde diese Jordaini-Armee führen?«
»Ich hätte es gern getan, wenn ich noch Jordain wäre.« Andris betrachtete finster das schwächer werdende magische Licht.
Die Bluthündin bannte die Kugel mit einem kurzen Schnippen ihrer kupferfarbenen Finger, dann nahm sie die Rolle an sich. Sie glättete sie und legte sie ihm erneut vor.
»Wirke noch einmal den Zauber, Jordain.«
Andris biß die Zähne zusammen und vollzog die Geste so wie gerade zuvor. Diesmal erschien kein Licht. Verwundert sah er Kiva an.
Ihre Reaktion bestand darin, daß sie in die Falten ihrer Kleidung griff und den juwelenbesetzten Stab hervorholte, der Verdammnis über Andris gebracht hatte. Sie legte ihn an die Rebe, die sich über den Frühstückstisch wand. Ein hoher, geisterhafter Ton ließ das Eisengitter vibrieren.
In den Augen des Jordain waren Verstehen, Schmerz, Unglauben und Zorn zu sehen, als ihm die Bedeutung klar wurde. Kiva nickte.
»Ja. Das Ergebnis wäre ziemlich genau das Gleiche, wenn ich mit diesem Stab einen Stein, eine Kröte oder einen Berg Gänsedaunen berührte. Er findet Magie, ob sie vorhanden ist oder nicht.«
»Meine Brüder halten mich für tot«, sagte Andris und brachte das zur Sprache, was ihn am stärksten
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