Rattentanz
mehr. Ihr Liebhaber hatte sie drei Jahre lang benutzt und vertröstet und Hoffnungen in ihr geweckt, die er niemals erfüllen wollte. Und als er gegangen war, hatte er alle Liebe und alle Freundlichkeit mitgenommen und aus Adelheid Nussberger wurde eine alte, verbitterte Frau, neidisch auf das Glück der anderen, voller Häme und Wut und Schuldgefühl.
»Hab ich dir nicht gesagt, dass es klappt.« Eugen Nussberger hatte Herd und Gasflasche miteinander verbunden und eine kleine Flamme entzündet. »Pass aber auf, dass du nur so viel Wasser warm machst, wie wir für den Kaffee brauchen. Das ist unsere einzige Gasflasche und ich weiß nicht, wie viel noch drin ist.«
Adelheid stellte einen Kessel mit Regenwasser auf den Kocher (zum Glück waren die Fässer hinter dem Haus voll) und setzte den Trichter der Kaffeemaschine, in den die Filtertüte gehörte, auf eine Glaskanne.
»Hast du dein Spray genommen?« Adelheid nickte. Seit vor sechs Jahren ihre uralte Mutter gestorben war, bekam sie in regelmäßigen Abständen Asthmaanfälle. Alles psychisch, so ihr Hausarzt. In Stresssituationen müsste sie sich einfach nur beruhigen. Medikamente brauche sie ganz bestimmt nicht. Sie hatte daraufhin den Arzt gewechselt und ihre Medikamente bekommen.
Ob nun bewusst oder unbewusst: sie hatte jedenfalls recht schnell ge lernt, dass so ein Asthmaanfall ein wirklich probates Mittel war, wenn es darum ging, Unzufriedenheit auszudrücken, einen Konflikt frühzeitig zu ihren Gunsten zu entscheiden oder gelegentlich zwei oder drei Tage Urlaub in einem der Krankenhäuser der Umgebung zu machen. Schließlich hatte sie dreiundvierzig Jahre ihre Kassenbeiträge bezahlt. Sie kannte inzwischen die Kliniken in Stühlingen, Waldshut, Neustadt und Donaueschingen so gut, dass sie bereits in jedem der Häuser bei ihrer Einlieferung korrekt mit Namen angesprochen wur de. Und Ärzte und Schwestern hinter ihrem Rücken die Augen verdrehten.
Obwohl sie eine Zusatzversicherung besaß, die ihr ein Einzelzimmer ermöglicht hätte, bestand sie immer auf einer Zimmernachbarin. Aber nicht, weil sie gesellig gewesen wäre (Gott behüte!) und auch nicht etwa, um im Hin und Her eines Gespräches etwas über diese Frau zu erfahren – nein, sie brauchte einfach nur eine möglichst geduldige Zuhörerin, die an den richtigen Stellen durch Kopfnicken ihre eigene Meinung bestätigte. Und so schimpfte sie dann zwei Tage über Schwangere (»Die machen nur Bälger, damit sie auf meine Kosten daheimbleiben können!«), über Ostdeutsche (»Ich kenne keinen Einzigen, der etwas taugt. Alles nur arbeitsscheue Kommunisten, die jetzt von dem leben, was wir hier nach dem Krieg aufgebaut haben!«), Pun-ker (»Arbeitslager. Haare schneiden, waschen und dann ab ins Arbeitslager!«) und Politiker (»Unter Adolf hätte es so was nicht gegeben. Da wurden wenigstens noch Nägel mit Köpfen gemacht! Wissen Sie, ich war im Bund deutscher Mädchen damals. Da herrschten noch Zucht und Ordnung, da hatte jeder noch seinen Platz!«).
Sie war schuldig. Verbittert. Voller Trauer.
»Du bringst die Lebensmittel nachher besser in den Keller.« Adelheid Nussberger hielt eine schmierige Scheibe Wurst ins Licht, dann warf sie diese der Katze auf den Küchenboden. Ihr Bruder nickte. Er deckte den Tisch, wie jeden Morgen. Es duftete nach frisch gebrühtem Kaffee. Sie nahmen beide am Küchentisch Platz.
»Ist das unser ganzes Brot?«, fragte sie zwischen zwei Bissen. Eu gen Nussberger nickte.
»Ein paar Scheiben Knäckebrot sind noch da und das eben.« Er deutete auf den winzigen Rest, der von dem Brotlaib, den er vorgestern gekauft hatte, noch übrig war.
Bis vor acht Jahren hatte Eugen Nussberger eine kleine Landwirtschaft mit zuletzt sieben Kühen betrieben, während seine Schwester den ganzen Tag im Bürgermeisteramt in Stühlingen arbeitete. Da er damals den ganzen Tag hier auf dem Hof war und die wenigen Tiere und das ganze Drumherum schnell versorgt waren, hatte es sich so er geben, dass er den größten Teil des Haushaltes und die Einkäufe übernommen hatte. Nur zu bügeln weigerte er sich.
»Und was machen wir jetzt?«
»Selber backen«, antwortete er.
»Kannst du Brot backen? Also ich kann es nicht!« Adelheid fingerte nach ihrem Asthmaspray, und zwar so, dass ihr Bruder es sehen konnte. Er sah es und verzog das Gesicht. Oh, wie ihn dieses Spiel langweilte! Offiziell aber tat er so, als sei er voll und ganz mit seinem Brot beschäftigt.
»Ich schau nachher mal in den
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